Das Interview mit Jutta Deffner, Mobilitätsforscherin "Carsharing ist für viele Menschen noch schwer vorstellbar"

Je klarer wird, dass Regierungen rund um den Globus die Klimaziele von Paris verfehlen werden, nimmt die Bedeutung von Anpassungsstrategien an den Klimawandel zu. So auch im Bereich Verkehr, der eine Hauptquelle von Treibhausgasen darstellt. Eine dieser Strategien könnte das sogenannte "Netflix der Mobilität", sagt Jutta Deffner.
Ihr persönlich würde ein Verzicht aufs Autofahren gar nicht so viel ausmachen. Dazu seien ihr Radfahren und Zufußgehen viel zu wichtig, meint Jutta Deffner vom Frankfurter Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE). Und schon ist die Raum- und Umweltplanerin bei einem Verkehrsthema, dem sie – neben der baulichen Anpassung von Straßen, Bahnstrecken et cetera an Starkregen, Hitze oder Sturm – eine große künftige Bedeutung beimisst: individualisierten Mobilitätskonzepten, die einerseits die persönlichen Mobilitätsvorlieben einzelner berücksichtigen und andererseits diverse Verkehrsmittel miteinbeziehen. Ein solcher Ansatz, der bereits recht weit gediehen ist, heißt „Mobility as a service“.
"Netflix der Mobilität"
Bei „Mobility as a service“ geht es darum, dass man sich die Nutzung verschiedener Verkehrsmittel „in bestimmtem Umfang einkauft“, erklärt Jutta Deffner. „In der Branche wird das auch das ‚Netflix der Mobilität‘ genannt. Für manche Verkehrsmittel habe ich dann vielleicht eine Art Flatrate, zum Beispiel ein Jahresticket zu einem fixen Preis. Und da hinzu buche ich mir verschiedene Add-ons wie vier Stunden Carsharing pro Woche oder ein festes Kontingent an Bikesharing-Minuten.“ Somit habe man ein festes, auch finanziell überschaubares Budget, und was man in der einen Woche oder in dem einen Monat nicht brauche, könne man später auch noch zu einem anderen Zeitpunkt nutzen.
Jutta Deffner sieht in diesem an sich cleveren Ansatz sogar noch weiteres Entwicklungspotenzial, „zum Beispiel bei der Verknüpfung von Fahrrad und öffentlichem Verkehr. Das empfinden, glaube ich, viele noch als sehr umständlich. Man schleppt sein Rad beim Umsteigen mit sich rum, weiß nicht, ob man es im nächsten öffentlichen Verkehrsmittel überhaupt mitnehmen kann und so weiter … Und wo man auch noch viel erklären muss, das ist tatsächlich das Thema Carsharing.“ Viele, sagt Deffner, empfänden Carsharing als unflexibel und wenig spontan – wenngleich es mittlerweile etwa Apps gäbe, die diese vermeintlichen Nachteile entkräften. Zumindest in vielen Großstädten mit Mangel an Parkplätzen sei Carsharing aktuell schon eine praktikable Alternative zum eigenen Auto.
Fragen, die gestellt werden müssen
Gerade in den städtischen Ballungsräumen, so Jutta Deffner, müssten aber noch andere Fragen gestellt werden, wenn es um die Verkehrs- und Mobilitätskonzepte der Zukunft geht. Etwa die, ob wir die „entfernungsintensiven Mobilitätsstile, die wir uns angewöhnt haben“ tatsächlich weiter leben müssen. Oder welche Infrastrukturen wir künftig wirklich brauchen. „Und da denke ich,“ meint sie, „können wir nicht noch mehr bauen, weil es allein schon viele Ressourcen kostet, die vorhandenen Infrastrukturen an den Klimawandel anzupassen – finanziell, zeitlich und personell.“
Jutta Deffner
Wir haben einen totalen Fachkräftemangel im Bereich Mobilität und Verkehr.
Ende der weiteren InformationenGerade der letzte Punkt beschäftigt Jutta Deffner, denn „wir haben einen totalen Fachkräftemangel im Bereich Mobilität und Verkehr. Die Städte sind nicht mehr in der Lage, Personal für all die Maßnahmen einzustellen, die durch die Verkehrswende erforderlich werden. Und es gibt dann auch noch gewisse Verwaltungsstrukturen, die das Ganze nicht vereinfachen. Da könnten sich die Sektoren oder Amtsbereiche, die nicht nur mit Verkehr befasst sind, noch besser vernetzen und optimaler zusammenarbeiten. Aber auch das wird nur schrittweise und langsam passieren.“
Alles auf den Prüfstand?
Und dabei drängt die Zeit. Und längst noch nicht wird im Verkehr an allen möglichen Klimastellschrauben gedreht. Prinzipiell ist es für Jutta Deffner sogar vorstellbar, alle vorhandenen Verkehrswege auf den Prüfstand zu stellen. Ist jede existierende Straße nötig? Wäre es bei manchen nicht sinnvoller, sie zugunsten von Grünanlagen zurückzubauen und so das Klima zu verbessern? Wenn sich Jutta Deffner einer Sache sicher ist, dann der, dass in den nächsten Jahren noch einige Paradigmenwechsel in Sachen Mobilität, Verkehr und Stadtplanung anstehen.