Psychologin Aleksandra Kaurin über den Umgang mit dem Ukraine-Krieg "Der Mensch kann mehr aushalten, als man denkt"

Corona-Pandemie, Klimakrise und jetzt der Krieg in der Ukraine: Die vielen schlechten Nachrichten können psychisch belastend sein. Die Kinder- und Jugendpsychologin Aleksandra Kaurin erklärt, worauf man achten sollte, wie man mit Kindern über den Krieg sprechen kann und was die Flüchtlinge aus der Ukraine jetzt brauchen.
Der Mensch kann mehr aushalten, als man denkt, sagt die Psychologin Aleksandra Kaurin. Auch wenn ihm im Moment viel abverlangt wird. Gerade als in der Corona-Pandemie ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen war, fiel Putin in die Ukraine und der Krieg in Europa ein.
"Hilfe zu leisten, kann eine Kraftquelle sein"
Es sei wichtig, den Gefühlen, die das auslöst, einen Raum zu geben, sagt Kaurin: Darüber zu sprechen, sich zu fragen, wie viele Ressourcen man noch übrig habe - und sich im Zweifel ein bisschen zurückzuziehen und sich zu erholen, wenn es zu viel wird. Nicht jede Push-Nachricht müsse sofort gelesen werden, meint die Psychologin. Man solle sich aber auch nicht lähmen lassen und in Tatenlosigkeit verfallen. Es könne helfen, aktiv zu werden, auf Demos zu gehen, Hilfsgüter zu sammeln, sich um Flüchtlinge zu kümmern, wenn man genug Kraft dafür habe. Eben „wirksam“ zu werden und das Gefühl zu bekommen, dass man im Kleinen etwas bewirken kann, damit es besser wird.
Die Hilfe für andere könne übrigens auch einen positiven Effekt aufs eigene Wohlbefinden haben, sagt Kaurin. „Das ist natürlich erst mal paradox, wenn man das hört – die Vorstellung, jetzt noch eine Herausforderung anzunehmen, fühlt sich im ersten Moment belastend ab. Aber Hilfe zu leisten während einer humanitären Krise, kann eben auch eine Sinn- und Kraftquelle sein.“
Kindern Gesprächsangebote machen
Die Kinder- und Jugendpsychologin weiß auch: Es sei wichtig, Kindern in dieser Situation Gesprächsangebote zu machen, um das, was sie hören, zu verarbeiten. Fragen wie: Was geht Dir durch den Kopf? Wie geht es Dir? Was stellst Du Dir vor, welche Fragen tauchen gerade bei Dir auf? Das sei "immer eine gute Idee". Aber: Man sollte sich vorher bewusst machen, was denn gerade die eigenen Ängste und Sorgen sind. Und ob man mit seinem Kind sprechen kann, ohne sich davon überwältigen zu lassen. Denn Kinder orientierten sich bei der Verarbeitung dramatischer Ereignisse ganz stark an der Bewertung wichtiger Bezugspersonen.
Wie sich die Nachrichten über den Krieg auf Kinder auswirken, sei ganz unterschiedlich, sagt Kaurin. Es helfe aber grundsätzlich, den Alltag weiter fortzuführen und ein Gefühl von Kontinuität zu vermitteln. Und nicht zu viele Nachrichten für Erwachsene mit Kindern anzuschauen. Wichtig sei, „dass die Informationen kindgerecht vermittelt werden.“
Mit drei Jahren aus Bosnien geflohen
Kaurin, die Juniorprofessorin für klinische Kinder- und Jugendpsychologie an der Uni Witten-Herdecke ist, floh vor 30 Jahren selbst vor einem Krieg: Mit drei kam sie mit ihrer Mutter aus Bosnien nach Deutschland. Der Krieg in der Ukraine habe den Schmerz des Traumas ausgelöst, den sie seit den frühen Neunziger Jahren in sich trage, sagt sie. Er erinnere sie an die Bilder und Emotionen aus ihrer Kindheit und an die Herausforderungen, die das Ankommen in Deutschland begleitet hätten.
Deshalb weiß sie auch, was für die Menschen, die jetzt in Deutschland ankommen, wichtig ist: „Wenn die Menschen hier ankommen, dann stehen sie im Prinzip unter Schock. Sie haben wahrscheinlich einfach ganz kurzfristig beschlossen zu fliehen, weil es in ihrer Heimat nicht mehr funktioniert, dort weiterzuleben. Und das bedeutet, dass die Menschen ganz, ganz viel Sicherheit brauchen und dass diese Sicherheit dauerhaft und nachhaltig vermittelt werden muss.“
Geflüchtete brauchen ein "Gefühl von Sicherheit"
Die Menschen, die eine solche Zäsur und Entwurzelung erfahren hätten, bräuchten von Anfang an die Gelegenheit, in Ruhe anzukommen und zu realisieren, dass der unmittelbare Schrecken zunächst ein Ende habe. Besonders bei Kindern sei es wichtig, dieses Gefühl von Sicherheit möglichst schnell und zuverlässig zu vermitteln, sagt Kaurin. Alltagsroutinen wie regelmäßige Mahlzeiten, Rituale, Schul- oder Kitabesuche könnten dabei helfen.
Und: Herzenswärme. Sie selbst wäre jedenfalls ohne die Hilfe von warmherzigen Menschen, die sie damals unterstützt haben, sicher nicht da, wo sie heute ist, sagt Kaurin.
Das Interview führte Mariela Milkowa.
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