Studie über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche "Die Kirche zeigt sich als Institution des Täterschutzes"

Eine neue Studie über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland zeigt ein erschreckendes Ausmaß. Doch die Zahlen sind nur die Spitze des Eisbergs. Die Untersuchung offenbart auch, wie das System der Vertuschung über Jahrzehnte funktionierte.
Die Studie wurde am Dienstag bei der Vollversammlung der katholischen Bischöfe in Fulda vorgestellt. Wir haben mit unserem Kirchenredakteur Klaus Hofmeister über die wichtigsten Inhalte und die Kritik an der Untersuchung gesprochen.
hr-iNFO: Was macht die Studie so brisant?
Hofmeister: Ich kenne einzelne Opfer sexuellen Missbrauchs und weiß, was das bedeutet: Jahrzehntelang lebst Du unter einer Glocke, weißt nicht, warum du unglücklich bist und keine Frau findest - und dann entdeckst Du, dass da was war, was dir deine Seele geraubt hat, und eine erfüllte Sexualität und den Glauben an Gott auch noch.
Und das ist 1670 mal und noch viel öfter passiert, denn die Dunkelziffer ist vermutlich erheblich. Personalakten wurden vernichtet und manipuliert, es gab ein System der Vertuschung. Die Kirche zeigt sich in der Studie als Institution des Täterschutzes. Und die Opfer wurden nach dem Missbrauch oft auch noch mundtot gemacht. Das offenbart die Studie im Rückblick nun in aller Härte.
Studie zu sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche
Die von der katholischen Kirche in Auftrag gegebene Studie "Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige“ zeigt ein erschreckendes Ausmaß: Zwischen 1946 und 2014 sollen mindestens 3677 überwiegend männliche Minderjährige Opfer sexueller Übergriffe geworden sein - durch Priester, Diakone und Ordenspriester. 1670 Täter soll es in dem Zeitraum gegeben haben. Die Studie und ihre Entstehung ist jedoch insofern umstritten, als dass die Ergebnisse maximal einen kleinen Teil des wahren Ausmaßes wiederspiegeln. Denn die Datenanalyse, deren Auswahl und die Anonymisierung stammt nicht von den externen, kirchenfremden Autoren der Studie, sondern von der Kirche selbst. Selbst die Verfasser der Studie monieren, dass in mindestens zwei Bistümern Akten manipuliert und vernichtet worden seien.
Ende der weiteren Informationenhr-iNFO: Weiß man, ob es auch Fälle aus hessischen Bistümern und Diözesen gibt?
Hofmeister: Dass es Fälle gibt, ist unstrittig, aber die Studie nennt keine Zahlen nach Regionen und schlüsselt nicht nach Bistümern auf. Allerdings liegen den Bistümern selbst ja die Zahlen vor. Es könnte sein, dass die Bistümer Mainz, Limburg und Fulda noch regionale Zahlen präsentieren. Es wäre im Sinne der Aufklärung, wenn das geschieht.
hr-iNFO: Zeigen sich die Bistümer da alle gleich transparent?
Hofmeister: Die Wissenschaftler schreiben, die Zusammenarbeit mit den Bistümern sei "nicht homogen" gewesen. Das heißt, einige haben besser zugeliefert als andere. Manche Bischöfe halten nicht viel von der Studie. Andere aber wollen die Transparenz.
"Zölibat zieht unreife Persönlichkeiten an"
hr-iNFO: Es gibt viel Kritik, wie die Kirche in der Vergangenheit mit dem Thema umgegangen ist. Wie schätzt Du ihren Umgang mit dem Thema heute ein: Wird jetzt alles getan, um Missbrauch und dessen Vertuschung in Zukunft zu vermeiden?
Hofmeister: In Sachen Prävention ist die katholische Kirche gut aufgestellt und bietet sogar ein Vorbild für andere gesellschaftliche Institutionen, die die Aufdeckung von Missbrauch noch im großen Stil vor sich haben könnten - die evangelische Kirche etwa, besonders aber auch der Sport. Aber die konkrete Aufarbeitung von Vertuschung, dass man Ross und Reiter nennt in den Bistumsverwaltungen, da wird die Kirche eher weiter mauern. Und da wird sie sich nur unter Druck bewegen.
hr-iNFO: Der Frankfurter Stadtdekan Johannes zu Eltz hat bereits Änderungen beim Zölibat gefordert. Ist die katholische Kirche bereit, in diesem Punkt umzudenken?
Hofmeister: Zu Eltz fordert, dass der Zölibat für Priester freiwillig gemacht wird. Weil viele Priester offenbar auf Dauer überfordert sind mit dem Alleinleben. Gerade wenn man als Mann mit seiner Sexualität nicht zurechtkommt, das eher verdrängt und meint, im Zölibat sind die Probleme dann auf besonders fromme Weise gelöst, wird es kritisch. Solche sexuell unreifen Männer, oft einsam und psychisch labil, werden dann in großem Maß zu Tätern - zum Teil erst nach 10 bis 15 Jahren als Priester. Verheiratete, also etwa die katholischen Diakone, werden weit weniger zu Tätern. Also: Der Zölibat ist nicht von sich aus der Grund für Missbrauch, aber er zieht doch unreife Persönlichkeiten besonders an. Man müsste ihn unbedingt überdenken.
Hilfe für Betroffene
- Hilfeportal des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs
Online: hilfeportal-missbrauch.de
Telefon: 0800/2255530
- Hilfeportal der Deutschen Bischofskonferenz
Online: www.hilfe-nach-missbrauch.de
Telefonische Beratung: 0800/0005640 (anonym und innerhalb Deutschlands kostenfrei im Mobil- und Festnetz, verfügbar zunächst vom 25.9. bis 28.9., täglich besetzt von 14.00 bis 20.00 Uhr, außerhalb dieser Zeiten rufen die Berater nach Wunsch zurück)
- Katholische Kirche: Hunderte Missbrauchsopfer in Hessen (hessenschau.de)
- Papst zu Missbrauchsskandal: "Nicht nur heutige Maßstäbe anlegen" (tagesschau.de)
Sendung: hr-iNFO, 25.9.2018, 6:10 Uhr