Weltraum im Wandel "Das ist eine Revolution, die sich da gerade über unseren Köpfen abspielt"

Im Weltraum findet gerade ein Wandel statt: Das All wird zum Wirtschaftsraum, in dem immer mehr private Firmen mitmischen. Welche Probleme das mit sich bringt, was man dagegen tun sollte und was das nächste große Ding der europäischen Raumfahrt sein könnte, erklärt hr-iNFO-Weltraum-Experte Dirk Wagner.
Es ist gerade von einer „neue Ära“ in der Raumfahrt die Rede. Siehst Du das auch so?
Wagner: Ja, ich gehe sogar noch weiter: Das ist eine Revolution, die sich da gerade über unseren Köpfen abspielt. Das sehen wir an einem Beispiel: SpaceX, die Firma von Elon Musk, hat vor kurzem den 2.000 Starlink-Satelliten gestartet - das ist das Netzwerk für Internet-Verbindungen aus dem All. Wenn das so weiterläuft, und alles deutet darauf hin, wird alleine SpaceX in wenigen Jahren die Zahl der aktiven Satelliten im Erdorbit verdoppeln. Und da haben wir all die anderen noch nicht genannt: Private Firmen, die auch sowas vorhaben, andere Länder wie China, die auch solche Konstellationen planen. Das heißt, da vollzieht sich gerade ein Wandel vom Weltraum zum Wirtschaftsraum - und zwar in einer Dimension, die wir so noch nicht gekannt haben. Und das liegt vor allem daran, dass der Transport in den Orbit einfacher und billiger geworden ist.
"Wir bekommen Schrottprobleme da oben"
Welche Probleme bringt das mit sich, wenn eine einzige Firma wie SpaceX zum Beispiel so viele Satelliten innerhalb kurzer Zeit in die Umlaufbahn schießt?
Wagner: Es wird voller und enger im Weltraum, vor allem in niedrigen Erdumlaufbahnen in etwa 500 Kilometern Höhe. Und mit jedem neuen Satelliten steigt das Risiko eines Zusammenstoßes um ein Vielfaches. Das haben wir schon erlebt: Anfang 2009 gab es Zusammenstoß von einem Satelliten der USA mit einem alten russischen Satelliten: Das Resultat war eine Trümmerwolke mit tausenden Trümmerstücken, wo jedes einzelne wieder eine Gefahr für andere Satelliten birgt. Bei einer Geschwindigkeit von 28.000 km/h hat ja selbst ein Trümmerteil von einem Zentimeter Durchmesser beim Einschlag die Gewalt der Explosion einer Handgranate.
Wir bekommen also Schrottprobleme da oben. Ende letzten Jahres hat Russland eine Anti-Satelliten-Waffe getestet und dabei einen eigenen alten Satelliten abgeschossen - schlicht, um zu zeigen, dass sie es können. Auch dabei ist eine Trümmerwolke entstanden. Fairerweise müssen wir sagen, dass auch andere Länder wie China, die USA und Indien das schon gemacht haben. Wir sehen also: Langsam müllen wir den Erdorbit zu und das wird zunehmend ein Problem. Eigentlich müsste jedes Land ein Interesse haben, Müll zu vermeiden, denn dieser Schrott gefährdet auch die eigenen Satelliten.
"Wild-West-Mentalität" im All
Das klingt so, als ob dort oben einfach jedes Land machen darf, was es will.
Wagner: Im Grunde ist das so. Wir haben noch eine Art "Wild-West-Mentalität" im All. Es gibt zwar einen Weltraumvertrag der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1967, das ist aber lange her. Damals war Weltraumfahrt noch etwas wirklich Exotisches, das nur von großen staatlichen Raumfahrt-Organisationen durchgeführt wurde.
Es gab auch Nachfolgeabkommen. Aber im Prinzig bräuchten wir ein neues Weltraumrecht mit verbindlichen Regeln, damit dort oben kein Chaos herrscht. Stattdessen machen zum Beispiel die USA einfach ihr eigenes Ding im Rahmen ihres neuen Mondprogramms „Artemis“. Da werden eigene Verträge gemacht mit einzelnen Ländern über die Nutzung des Weltraums und den Ressourcenaabbau dort oben. Sinnvoll wäre aber internationale und verbindliche Regeln, an der alle teilhaben.
Jetzt könnten wir sagen, das ist alles weit weg. Wie betrifft uns das überhaupt in unserem Alltag?
Wagner: Wir sind alle in unserer modernen Welt abhängig von Raumfahrttechnik, obwohl wir das manchmal gar nicht merken. Wor wir es merken ist bei der Navigation und Telekommunikation. Aber auch Stromnetze und Finanzmärkte werden mit genauen Zeitsignalen aus dem All gesteuert. Das heißt: Wir müssen uns darauf verlassen können.
Europäische Raumfahrtkonferenz in Brüssel
Am 25. und 26. Januar findet das jährliche Treffen der wichtigsten Akteure der europäischen Raumfahrt in Brüssel statt und bietet Debatten und Austauschmöglichkeiten zum Thema "Eine neue Ära für die europäische Raumfahrt: Visionen in die Tat umsetzen".
Ende der weiteren InformationenRaumfahrt hilft uns zudem auch, Probleme hier auf der Erde zu lösen: Jeden Tag gibt es Klimadaten aus dem All, damit können genaue Modelle erstellt werden, was gerade mit der Erde passiert. Der Katastrophenschutz ist ein weiteres Stichwort. Es gibt sogar das Ziel, im Computer einen digitalen Zwilling der Erde zu bauen, um bessere Vorhersagen für die künftige Entwicklung zu machen, auch was Klimawandel angeht. Daran arbeitet unter anderem das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz.
Eigenes europäisches Raumschiff?
Deine Einschätzung: Was ist das nächste große Ding in der europäischen Raumfahrt?
Wagner: Ich tippe auf ein eigenes Raumschiff, eine Raumkapsel für europäische Astronauten. Bislang sind die Europäer ja angewiesen auf die USA und Russland, um zum Beispiel Menschen zur ISS zu bringen. Wenn ich dem aktuellen ESA-Generaldirektor, Josef Aschbacher, zuhöre, will er das ändern - vielleicht ja sogar mit einem Modell zusammen mit der Privatindustrie. Ich denke, da werden wir in den nächsten Tagen und Wochen noch einiges hören.
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