Jungs stehen auf einem Schulhof beieinander

Andrea Wagner arbeitet als Sozialarbeiterin an der Ernst-Reuter-Gesamtschule in Frankfurt. Wie kriegt sie mit, dass ein Kind zu Hause misshandelt wird? Ein Besuch.

Der Alltag

Große Pause: Ein ganzer Schwung Schüler kommt in die Cafeteria. Andrea Wagner steht an der Tür, begrüßt die Schüler, jeden einzeln. Die Kinder stellen ihre Taschen ab, manche holen sich ein Spiel, setzen sich hin. "Das ist die Anlaufstelle für die Jahrgänge fünf und sechs und sowas wie ein offener Treff. Es ist ein lehrerfreier Raum. Das ist ganz wichtig für die Schüler und quasi die Basis, wo wir den meisten Schülern an der Schule begegnen", sagt Wagner.

Andrea Wagner

Die Räume sind fröhlich und hell, mit gelb und grün gestrichenen Wänden. Ein paar Mädchen umringen Andrea, lehnen sich an, plaudern mit ihr. Seit 25 Jahren arbeitet die Schulsozialarbeiterin an der Ernst-Reuter-Schule. Die große, schlanke 62-Jährige strahlt Ruhe und Wärme aus. Sie wirkt taff und mitten im Leben stehend. "Wir versuchen ein Vertrauensverhältnis zu schaffen, damit wir im Falle von einer Kindeswohlgefährdung oder von Sorgen und Nöten der Kinder einfach eine Basis haben. Dass sie von sich aus kommen können mit dem Vertrauen: 'Hier kann ich hinkommen, die Andrea hat Schweigepflicht und erzählt das auch nicht den Lehrern und wir gucken erstmal zusammen, wie wir ein Problem gemeinsam lösen können'."

"Man spürt, dass die Kinder sich anders verhalten"

Manchmal fängt es mit einer ganz kleinen Situation an. Dann reift der Verdacht 'diesem Kind geht’s nicht gut'. "Das spürt man dann im Treff, dass sie sich anderes verhalten. Sie sind Einzelgänger, sind zurückgezogen und oft traurig", sagt die Schulsozialarbeiterin. Manche Kinder werden plötzlich und ohne Grund aggressiv – und ihre Erfahrung hat Andrea Wagner gelehrt: Das sind oft genau die Kinder, die zu Hause in der Familie körperliche oder auch seelische Gewalt erleben. "Androhung von Schlägen, Herumschubsen, mal ein Schlag auf den Hinterkopf oder auch mit Gegenständen" beobachtet sie. Dann ist die Frage: Wie kann das Kind hier von der Schule aus geschützt werden? Auch präventiv – etwa über Elterngespräche, intensive Beratung, über Hilfsangebote.

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„Es ganz wichtig, dass Schulsozialarbeit wieder eine personelle Aufstockung erfährt.“ Andrea Wagner Andrea Wagner
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Aber bei etwa 20 Fällen im Jahr an dieser Schule reicht dieses erste Angebot nicht mehr aus. Da muss die Schulsozialarbeiterin ganz schnell handeln, wenn sich der Verdacht auf eine körperliche oder seelische Misshandlung erhärtet. Dann muss natürlich das Jugendamt mit einbezogen werden.

"Dann ist es ganz wichtig zu überlegen, wann beziehen wir wen und wie mit ein. Damit wir da auch wirklich nicht eine voreilige oder eine Einschätzung treffen, die möglicherweise nicht im Sinne des Kindes und zum Wohl des Kindes ist", sagt sie. Wagner ist plötzlich sehr ernst. "Jedes Mal ist es so, dass es einem persönlich ziemlich nahe geht", sagt sie.

Das Problem

Fast 1200 Schüler der Klassen 5-10 gehen in die Ernst-Reuter-Schule. Das Problem: Um ganze eineinhalb Stellen ist die Schulsozialarbeit an der Schule gekürzt worden.

Die Forderung

Kinder, die Misshandlung erleben, müssen von ihrer Schule besser unterstützt und besser geschützt werden. Das geht nur, wenn man das "als eine gemeinsame Aufgabe in der Schule versteht", sagt die Schulsozialarbeiterin. "In erster Linie ist es ganz wichtig, dass Schulsozialarbeit wieder eine personelle Aufstockung erfährt. Ich denke, dass Jugendhilfe an der Schule generell früh beginnt, Kinder stark zu machen und durch vielseitige präventive Angebote eine Basis schaffen kann. Und dazu brauchen wir natürlich genügend Ressourcen."

Sendung: hr-iNFO, 15.5., 6:10 Uhr