Rialto Beach

Der nordwestlichste Zipfel der Vereinigten Staaten ist eigentlich bekannt für sein schlechtes Wetter. Der Sommer war jedoch alles andere als typisch: Das Thermometer kletterte auf einen Rekordwert von 45 Grad. Mit fatalen Folgen für Menschen und Natur.

Massive Wellen rollen heran am Rialto Beach, einer der westlichsten Punkte der USA. Sprühregen wechselt sich mit heftigen Regenschauern ab und vernebelt fast die Sicht vom Strand aus auf die massiven vorgelagerten Inseln, die sich hoch aus dem grün-grauen Pazifik erheben. Ein typischer Herbsttag im kühlen Bundesstaat Washington State im Nordwesten der USA. Doch der Sommer war alles andere als typisch, erzählt Meeresbiologe Steve Fradkin: „Dieses Jahr war ungewöhnlich –wir hatten eine Hitzeglocke. Und doch wird das immer normaler. Als Beispiel: In den letzten drei bis vier Jahren konnten wir im Sommer immer T-Shirts anziehen, aber das war lange nicht normal."

Von der Hitze gekocht

Fradkin schlägt der Regen ins Gesicht - kein Problem für den Mitarbeiter des Olympic Nationalparks. Er ist mit seiner dunkelgrün-gummierten Jacke und Regenhose bestens vorbereitet. Anders als ich, die während des Interviews bemerkt, dass sie sich nicht gut genug auf das regenreiche Gebiet eingestellt hat. Fradkin erforscht die Meeresbewohner der Küstengebiete, viele haben diesen Sommer nicht überlebt, sagt er: „Wir haben gesehen, dass viele Tiere, die in Gezeitenpools leben, gestorben sind. Muscheln, kleine Krebse, Seesterne zum Beispiel. In der Region zwischen Seattle und Vancouver sind 80 bis 100 Prozent getötet worden. Weil sie regelrecht in den Gezeitentümpel, die zurückbleiben, wenn Ebbe herrscht, gekocht wurden. Hier wo wir stehen sind etwa zehn Prozent direkt an der Hitze gestorben, der Bereich ist etwas besser geschützt vor Hitze. Doch es kann sein, dass viele Organismen gestresst sind und später an den Folgen sterben.“

Meeresbiologe Dr. Steve Fradkin

"Wussten, dass das irgendwann passieren würde"

Der Olympic Nationalpark in Washington State gehört zum UNESCO Weltnaturerbe – es sei einer der Plätze mit der höchsten biologischen Vielfalt im Westen der USA. Auch deswegen ist Biologe Fradkin besorgt über die Wetterereignisse in diesem Jahr, die weltweit Schlagzeilen machten. In den Nachrichten heißt es: „Eine Rekord-Hitzewelle hat den Pazifischen Nordwesten im Griff. Seattle: 41 Grad, an drei Tagen hintereinander mehr als 40 Grad, nie gesehene Temperaturen verursachen Stromausfälle und die Straßen wölben sich.“

Hitzekuppel beschreibt das Ereignis im Juni 2021 passend: Diese Kuppel entsteht, wenn sich ein Hochdruckgebiet über einer Region festsetzt und die Hitze dort gefangen hält. Im Norden der USA sowie in Kanada wurden weit über 40 bis 50 Grad Celsius gemessen. Absolut ungewöhnlich für den kalten Norden. Forschende der Universität Oxford äußerten, dass diese Hitzewelle ohne den Klimawandel so nicht möglich gewesen wäre. Dieser wirkt wie ein Katalysator und begünstigt Extremwetterereignisse wie dieses, da sind sich viele Forscher sicher.

Als Hitzebombe bezeichnet der Gouverneur des Bundesstaates Washington State, Jay Inslee, das Extremwetterereignis: „Wir wussten, dass das irgendwann passieren würde. Die Wissenschaft ist da sehr klar. Ich und viele andere versuchen, unsere Nation aufzurütteln. Und hier sind wir - der erste Akt der Klimakatastrophe beginnt.“

Hitzewellen als Todesursache Nummer Eins

Zurück zum Strand in Washington State an diesem grau-trüben Herbsttag, an dem die Hitze des Sommers unendlich weit weg erscheint. Doch tatsächlich muss man nicht lange suchen, wenn man wissen will, wie die Menschen, die hier leben, die Hitzewelle erlebt haben. Am Strand spreche ich Tibs an. Er erkundet mit seiner Familie die vielen angespülten, alten Baumstämme, die sich übereinander stapeln. Als ich ihn nach der Hitzewelle frage, erzählt er mir, dass er Landwirt ist und  eine kleine Blaubeerfarm betreibt: „Wir hatten deswegen weniger Beeren. Viele Kunden waren enttäuscht, weil sie nichts mehr bekamen. Abgesehen davon waren die Tage eine Herausforderung, denn wir haben keine Klimaanlage und wir mussten sehen, wie wir uns kühl halten.“

Anders als die Bürger in Kalifornien, Arizona oder anderen warmen US-Bundesstaaten, haben sich die Menschen in Washington State nicht so stark auf extreme Hitzetage eingestellt. Dabei ist gerade Hitze eine unterschätzte Gefahr, erklärt Kristie Ebi, Professorin für Globale Gesundheit an der Universität Washington dem Radionetzwerk NPR: „Hitzewellen sind wetterbedingt die Todesursache Nummer Eins und die Schätzungen, wie viele Amerikaner jedes Jahr in der Hitze sterben, variieren von etwa 700 bis zu einer aktuellen Studie, die sagt, dass es mehr als 12.000 sind.“

Rialto Beach

Kein Bewusstsein für die Gefahr heißer Tage und Nächte

Etwa 200 Menschen sollen im Sommer allein in den US-Bundesstaaten Oregon und Washington State gestorben sein – durch Dehydrierung oder Erschöpfung. Die Dunkelziffer dürfte aber höher liegen, Experten gehen von eher 600 Toten aus. Im Westen Kanadas, ein paar Kilometer weiter nördlich, waren es noch mehr. 

Viele Menschen hätten kein Bewusstsein dafür, wie gefährlich heiße Tage und Nächte werden können, betont Ebi: „Wenigen ist klar, dass unser Körper in einem ziemlich engen Wohlfühlbereich funktioniert. Wenn uns zu heiß wird, gibt es eine Vielzahl von Mechanismen, um unsere Körperkerntemperatur zu senken. Schwitzen ist ein Thema, mit dem so ziemlich jeder vertraut ist. Und wenn das nicht ausreicht, heizen sich unsere Zellen oder Organe auf. Wenn man an einer Herzerkrankung, Atemwegserkrankung oder anderen Problemen leidet, werden die Organe stark belastet und können vorzeitig versagen. Wenn alle Sterbeurkunden nach einer Hitzewelle ausgestellt wurden, stellen wir meist fest, dass die Zahl der Todesfälle viel größer war als die Zahl, die ursprünglich zur Zeit der Hitzewelle aufgezeichnet wurde.“

"Städte müssen Hitzeaktionspläne entwickeln"

Die Nachfrage nach mobilen Klimageräten war in Oregon und Washington State entsprechend groß. Und der Mensch muss sich dauerhaft an Hitzewellen gewöhnen, meint Wissenschaftlerin Ebi: „Aus der Klimawissenschaft wissen wir, dass die Erderwärmung die Häufigkeit, Intensität und Dauer von Hitzewellen erhöht. Wir haben in den letzten Jahren auch in Sibirien sehr extreme Hitzewellen erlebt.

In Japan gab es eine Hitzewelle, von der die japanische Wetterbehörde sagte, dass sie ohne den Klimawandel nicht hätte passieren können. Nordskandinavien, Schweden, hatte vor ein paar Jahren eine Hitzewelle mit 700 Todesfällen. Also sehen wir diese auf der ganzen Welt. Städte müssen Hitzeaktionspläne entwickeln, um auf eine viel heißere Zukunft vorbereitet zu sein.“

Der böse Zwilling der Erderwärmung

Die Heißzeit stellt die Menschheit vor viele Herausforderungen. Welche Chance haben die Pflanzen und Tiere? Meeresbiologe Steve Fradkin blickt auf die Wellen am Rialto Beach in Washington State. Er betont, dass die Natur mit verschiedenen Auswirkungen der Erderwärmung zu kämpfen hat. Höhere Temperaturen sind nur ein Faktor. Diese entstehen vereinfacht gesagt durch die Freisetzung von zu viel Kohlenstoffdioxid in der Luft, das Klimagas wandert aber auch wieder ins Meer - mit fatalen Folgen: „Der böse Zwilling der Erderwärmung ist, wenn man so will, die Versauerung der Meere. Der Mensch hat über die letzten 100 Jahre zu viel Kohlendioxid in die Luft gebracht, im Meer führt das dazu, dass sich der PH-Wert ändert, dass heißt, das Meer wird weniger basisch. Und das hat Folgen vor allem für Lebewesen, die ihr Skelett aus Kalk bilden. Sie haben Probleme, eine harte Schale auszubilden.“

Flora und Fauna leiden unter den Klimaveränderungen

Den Klimawandel, der die Natur hier und überall auf der Welt bedroht, kann der Mensch nicht aufhalten, nur verlangsamen - darin sind sich führende Wissenschaftler einig. Doch langfristig muss sich der Mensch, die Natur anpassen an eine veränderte Klimazukunft, auch der pazifische Nordwesten der USA. 

Weitere Informationen Ende der weiteren Informationen