Beispiel Trinkwasser Was kostet der Klimawandel?

Kann man dem Klimawandel ein Preisschild geben? hr-iNFO hat sich am Beispiel des Trinkwassers auf die Suche nach Antworten gemacht. Eine Recherchereise in sechs Etappen.
Erste Etappe: Alles ganz schön schwierig
Wir telefonieren, schreiben Mails, führen Interviews. Mit der immer gleichen Frage: Was kostet der Klimawandel? Wir sprechen mit Wasserversorgern, Politikern, Wissenschaftlern, Ingenieuren, Experten. Unter anderem mit Mark Oelmann, Professor an der Hochschule Ruhr-West und Spezialist für Wassermanagement. Er bringt klar auf den Punkt, was uns auch andere Gesprächspartner sagen: "Wenn irgendwie ein Ministerium auf mich zukommen würde und sagen würde: 'Oelmann, wie würden denn die Preise steigen im Zusammenhang mit Klimawandel?' Dann wäre das an der Stelle mindestens ein Jahr-Projekt." Und selbst wenn er ein Jahr Zeit für ein solches Projekt hätte - er wäre nicht sicher, ob er dann tatsächlich belastbare Aussagen machen könnte, sagt Oelmann. Wir suchen weiter.
Zweite Etappe: Es wird teurer
Endlich eine Zahl! Der Branchenverband Deutscher Verein des Gas- und Wasserfachs (DVWG) hat in diesem Sommer eine Umfrage durchgeführt, an der mehr als 200 Wasserversorger in Deutschland teilgenommen haben. Das Ergebnis: Die Verbandsmitglieder rechnen innerhalb der nächsten zehn Jahre mit 1,2 Milliarden Euro Investitionskosten für Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel. Das ist dreimal so viel Investitionsvolumen wie in den zurückliegenden zehn Jahren.
Und dass der Klimawandel offensichtlich Geld kostet, das erfahren wir auch noch woanders. Zum Beispiel bei der Stadt Frankfurt, mit 760.000 Einwohnern der Riese im Ballungsraum Rhein-Main. Umweltdezernentin Rosemarie Heilig sagt uns: In Frankfurt wird Wasser teurer. Nachfrage: Wann? Und wie viel? "Eine hundertprozentige Prognose abgeben kann ich nicht", sagt Heilig, "aber dann sag ich mal: in dieser Legislaturperiode - wir haben ja gerade eine neue Stadtregierung gewählt - wird es teurer." Und das würde bedeuten: innerhalb den nächsten fünf Jahre.
Eine konkretere Prognose finden wir in Raunheim, einer 17.0000-Einwohner-Stadt in Südhessen. Hier rechnet man damit, dass der Wasserpreis für die Verbraucher bis zum Jahr 2035 um rund 50 Prozent steigen könnte.
Dritte Etappe: Was sagen die Wasserversorger?
Der größte Wasserversorger in Hessen ist das Unternehmen Hessenwasser. Hessenwasser versorgt in der Rhein Main-Region rund zwei Millionen Menschen mit Wasser. Dem Klimawandel einen konkreten Preis geben? Tut uns leid, unmöglich, heißt es bei Hessenwasser. Schon allein, weil bei Investitionen – und darum geht es vor allem bei Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel - verschiedene Faktoren eine Rolle spielen. Da den Klimawandel mit einem bestimmten Anteil rauszurechnen geht nicht.

Dazu ein Beispiel: Insgesamt rechnet Hessenwasser in den kommenden 20 Jahren mit Investitionen in Höhe eines "deutlich dreistelligen Millionenbetrags". Einen großen Anteil daran hat mit rund 100 Millionen Euro eine neue zentrale Wasserleitung aus dem südhessischen Ried ins Rhein-Main Gebiet – die sogenannte Riedleitung. Diese 35 Kilometer lange Leitung ist laut Hessenwasser die "Lebensader" der Rhein-Main Region, wenn es um Trinkwasser geht. Bis zu 40 Prozent des täglichen Trinkwasserbedarfs des Ballungsraums fließen laut Hessenwasser durch die Ried-Leitung. Aber diese Ried-Leitung ist mittlerweile mehr als 50 Jahre alt, das Risiko von Rohrbrüchen und damit Engpässen in der Versorgung steigt also.
Deshalb braucht sie eine Ergänzung. Eine zweite Ried-Leitung. Als die vor mehr als zehn Jahren geplant und schließlich im Jahr 2016 genehmigt wurde, war das Thema Klimawandel für die Wasserversorger noch nicht akut. Das hat sich geändert – vor allem als Folge der heißen und trocknen Sommer 2018, 2019 und 2020. Denn längere Trockenperioden, mehr sehr heiße Sommertage lassen den Wasserverbrauch hochschnellen. Hessenwasser rechnet vor, dass an sehr heißen Tagen mit Temperaturen über 30 Grad Celsius der Wasserverbrauch um rund 30 Prozent steigt gegenüber normalen Tagen.

Und mit dem Klimawandel wird die Zahl dieser heißen Tage in der Rhein-Main Region zunehmen. Die Hessische Landesanstalt für Naturschutz, Umwelt und Geologie verweist auf Untersuchungen, nach denen sich die Zahl der heißen Tage in Frankfurt bis zum Ende des Jahrhunderts vervierfachen könnte – von zuletzt gut zehn auf rund 40 pro Jahr. Und an jedem dieser Tage würde der Wasserverbrauch dann mutmaßlich ansteigen. Bei den Wasserversorgern nennt man so etwas "Spitzenlasten". Und die sind für sie eine der zentralen Herausforderungen.
Um diese Spitzenbelastungen im Leitungsnetz abdecken zu können, kommt die zweite Ried-Leitung gerade richtig. Das sagt auch Hessenwasser in seinem Informations-Video, in dem es unter anderem heißt: "Die neue Ried-Leitung ist eines der wichtigsten regionalen Infrastrukturprojekte für eine zuverlässige und klimafeste Wasserversorgung der Metropolregion Frankfurt-Rhein-Main."
Fazit: Die Investition in die neue Ried-Leitung hatte ursprünglich ganz andere Gründe als den Klimawandel. Es ging um Versorgungssicherheit. Es ging auch um größere Kapazitäten für eine seit vielen Jahren wachsende Bevölkerung im Ballungsraum Rhein-Main, die entsprechend mehr Wasser verbraucht. Mittlerweile sorgt der Klimawandel aber für mehr Spitzenbelastungen. Damit wird die Investition jetzt noch sinnvoller, als sie es ohnehin schon war.
Vierte Etappe: Auch knappe Ressourcen kosten Geld
Beim Zweckverband Mittelhessische Wasserwerke (ZMW) sorgt der Klimawandel ebenfalls für steigende Kosten. Die längeren Trockenphasen, so beantwortet der ZMW unsere schriftliche Anfrage, und die damit verbundenen sinkenden Grundwasserstände treiben den Aufwand hoch: mehr Kontrollen in Sachen Naturschutz. Höhere Förderkosten. Durch den steigenden Wasserbedarf in "Trockenjahren" werden die Anlagen stärker beansprucht, sind also auch schneller abgenutzt. Und noch etwas kommt hinzu: Wenn als mögliche Folge des Klimawandels die Grundwasserpegel weiter sinken und Brunnen eventuell versiegen, so die Analyse des ZMW, dann müssen neue Förderanlagen gesucht, genehmigt und gebaut werden.
Auch hier also: Der Klimawandel führt absehbar zu Kostensteigerungen. Aber jetzt schon ein Preisschild dranzuhängen - das hält der ZMW zum gegenwärtigen Zeitpunkt für "spekulativ".
Fünfte Etappe: Was noch in die Rechnung reingehört
Investitionen, höherer Aufwand zur Wassergewinnung - diese Posten haben wir jetzt schon. Haken dran. Aber da ist noch ein Punkt: die ökologischen Folgekosten, zum Beispiel aufgrund sinkender Grundwasserspiegel und der drohenden Austrocknung von Wäldern. Zwar sind die Folgen des Klimawandels auf das Grundwasser und die Grundwasserneubildung noch unklar. Aber schon heute klagen Naturschützer im Vogelsberg, im hessischen Ried, sogar in Teilen Nordhessens: 'Bei uns wird Wasser aus der Erde gepumpt, zum Teil über rund 100 Kilometer ins durstige Rhein-Main Gebiet transportiert, während die Natur vor Ort buchstäblich austrocknet.'
Spricht man über die Kosten des Klimawandels, müssen solche Effekte auf jeden Fall berücksichtigt werden, sagt der Spezialist für Wassermanagement an der Hochschule Ruhr-West, Mark Oelmann: "Diese Vollkostendeckung ist von höchster Relevanz und betrifft beileibe nicht nur die Kosten der unmittelbaren Wasserver- und -entsorgung, sondern hat absolut auch diese externen Kosten im Blick, die Umweltschutz oder solche Sachen nach sich ziehen."
Wie aber beziffert man Schäden, die erst noch entstehen und deren Ausmaß unklar ist? Schwierig. Um wenigstens mal einen Eindruck zu bekommen, um welche Summen es da gehen könnte, haben wir beim Umweltministerium in Wiesbaden nachgefragt: Mit wie viel Geld wurden in den vergangenen fünf Jahren Maßnahmen gefördert, die in unsere Rechnung passen könnten, weil sie zum Beispiel helfen, das Grundwasser-Vorkommen in Hessen zu stabilisieren? Der Umbau von Nadelwald zu Laub- und Mischwald beziehungsweise Maßnahmen zur Wiederbewaldung: gefördert mit 56 Millionen Euro. Maßnahmen zur Schaffung von Feuchtgebieten, Renaturierung von Mooren: rund eine Million Euro. Oder ein ganz konkretes Projekt: die Wiedervernässung des Pfungstädter Moores. Die fördert das Land Hessen in diesem und im nächsten Jahr mit rund einer halben Million Euro. Achtung: Das sind keine Summen, die unmittelbar was mit der Trinkwasserversorgung zu tun haben. Die Beispiele zeigen aber: Der Erhalt und die Stabilisierung des Grundwasservorkommens kosten auch Geld.
Schlussetappe
Und damit sind wir am Ende unserer Reise, bei der wir am Beispiel des Trinkwassers der Frage nachgegangen sind: Was kostet der Klimawandel? Einen Preis haben wir nicht - tut uns leid. Aber klar ist: Wasser wird teurer werden. Und das hat auch mit dem Klimawandel zu tun. Auch wenn einzelne Investitionskosten im Bereich Trinkwasser immer ein Mix aus verschiedenen Faktoren sind. Teilweise – Beispiel Riedleitung in Südhessen – sind Entscheidungen schon seit langem getroffen, aus zunächst anderen Gründen als den Auswirkungen des Klimawandels. Und erst jetzt wird klar: Diese Investitionen lohnen sich umso mehr, weil sie auch als Anpassungsmaßnahmen in Sachen Klima Sinn machen.
Dazu kommt die Frage: Welche Folgen des Klimawandels rechnet man mit ein, wenn man vom "Kostenfaktor Klimawandel" spricht? Stichwort: Ausgleichszahlungen für ökologische Schäden durch Trinkwasserförderung und -export. Spätestens an dieser Stelle wird dann auch noch mal die Politik entscheidend beeinflussen, was uns der Klimawandel kostet – auch beim Trinkwasser.