Unklare Datenlage Racial Profiling: Wenn das Aussehen verdächtig macht

Behandelt die deutsche Polizei Menschen mit Migrationshintergrund anders als ihre blonden Mitbürger? Die Datenlage ist unklar, aber es gibt Hinweise.
Emre ist 21 Jahre alt, stammt aus Frankfurt und studiert Maschinenbau. Im August 2020 ist er mit seiner Freundin im Auto unterwegs. Als die beiden einen Krankenwagen mit Einsatzsignal schnell näherkommen sehen, fährt Emre an die Seite, um den Rettungswagen passieren zu lassen - obwohl die Ampel auf “grün” steht. Ein Autofahrer hinter ihm reagiert wütend, steigt aus und greift Emre durch das offene Seitenfenster an die Kehle. Der junge Mann ist geschockt, ruft die Polizei. Als die Beamten eintreffen, sagen sie: Es sei ja nichts passiert, also gebe es auch keinen Grund für eine Anzeige. Emre sieht das anders.
Auf der Polizeistation habe er mindestens vier Anläufe nehmen müssen, bis die Beamten überhaupt seine Anzeige aufgenommen hätten, erzählt der Betroffene. "Dann hat er plötzlich angefangen zu fragen, was ich so mache, wer ich so bin, was ich studiere, wo ich auf der Schule war, wie ich mir so ein Auto leisten kann, wie es so ist, Tankkosten zu zahlen, was ich so privat mit meiner Freundin mache." Als ob es Emre gewesen wäre, der etwas falsch gemacht hat. Als er die Polizisten darauf anspricht, sagen sie, sie müssten die Glaubwürdigkeit von Emres Geschichte prüfen. Die Justiz hält Emres Geschichte später sehr wohl für glaubwürdig. Der Angreifer wird zu 150 Euro Geldstrafe verurteilt.
Das Aussehen macht verdächtig
Emre kommt aus einem Viertel im Frankfurter Westen, das nicht den besten Ruf hat. Seine Eltern stammen aus der Türkei. Er werde häufiger angehalten, sagt Emre. Er hat das Gefühl, von der deutschen Polizei anders behandelt zu werden als andere Deutsche. Damit ist er keineswegs allein.
"Racial Profiling" heißt der Fachbegriff für das, was jungen Menschen mit Migrationshintergrund vermeintlich passiert. Die Polizei kontrolliert sie allein wegen äußerlicher Merkmale, wegen ihres Aussehens. Das reicht, um sie zu verdächtigen. Das Problem an dieser Theorie: Es gibt in Deutschland noch keine genauen Daten, um sie zu beweisen. Aber es gibt Hinweise.
Anhaltspunkte für ein Problem
Tobias Singelnstein, Kriminologie an der Ruhr-Universität Bochum, hat mit einem Team vor drei Jahren via online-Befragung die Stimmen von 3.373 Menschen gesammelt. Sie bezeichnen sich subjektiv als Betroffene von rassistischem oder diskriminierendem Verhalten von Polizisten. Zusätzlich führten die Forscher Interviews mit insgesamt 17 Polizeibeamten und Experten zu diesem Thema. Viele Betroffene sagen, dass sie häufig schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht haben. Aber auch die Polizisten selbst hätten in Interviews angegeben, dass es Kolleginnen und Kollegen gebe, die sich rassistisch verhalten würden.
Singelnstein betont, dass seine Studie nicht repräsentativ ist und keine allgemeingültigen Rückschlüsse auf Polizei-Verhalten zulasse. Aber die Ergebnisse gäben Anhaltspunkte dafür, dass es ein Problem gibt.
"... dann haben wir ein Problem"
Dem näher nachgehen möchte Astrid Jacobsen. Sie leitet eine laufende Studie an der Polizei-Akademie Niedersachsen, die den Alltag von Polizisten erkunden will. Die Wissenschaftlerin sagt: Polizisten haben es im Alltag oft mit unklaren Situationen zu tun und müssten spontane Entscheidungen treffen.
Sie reagierten mit Routinen und Erfahrung. Teils eigene Erfahrungen, teils solche, die ihnen aus dem Kollegium erzählt wurden. "Wenn die vorurteilsgespeist sind, dann haben wir ein Problem", so Jacobsen.
"Das Problem ist bekannt"
Auch Felix Paschek, der Vize-Präsidenten des Hessischen Landeskriminalamtes, kann Racial Profiling bei hessischen Beamten nicht ausschließen. "Das Problem ist erkannt, wir gehen dagegen vor", sagt er hr-iNFO auf Nachfrage. Er betont aber auch, dass einzelne Fälle nicht zu einer pauschalen Verurteilung führen dürften. Die Mehrheit der Polizistinnen und Polizisten mache ihren Job anständig und vernünftig.
Das Problem mit dem Racial Profiling-Vorwurf ist, dass er schwer zu greifen ist. Wo verläuft die Grenze zwischen der Wahrnehmung der Betroffenen und tatsächlich rassistischem Verhalten von Polizisten? Um das zu klären, plädiert auch Paschek für mehr Forschung darüber.