Ein Rothirsch auf der Suche nach einer Partnerin (Archivbild).

Die Population des Rotwilds in Hessen ist in den letzten Jahren rapide gesunken. Ein Grund ist, dass der Lebensraum immer weiter eingegrenzt wird - und das wirkt sich auch auf die Genetik aus. Der letzte Rothirsch wird aus Flur und Wald verschwinden, wenn nicht jetzt dagegen vorgegangen wird, warnen Experten.

Irgendwie ist er auch der Inbegriff romantischen Kitsches: der Rothirsch. Lange war es irgendwie „in“, dass er einem in Öl, gedruckt oder gestochen, von Bildern entgegenröhrte. Auf Gläsern, Krawatten und anderen Gebrauchsgegenständen war er ebenso präsent wie als Nippesporzellanfigur. Am Ende war man dem Rothirsch beinah überdrüssig und verbannte ihn aus den Wohnzimmern und Fluren. Und jetzt verschwindet er in Hessen, ganz unromantisch, aus der Flur und aus den Wäldern.

Die Veränderungen in seinem Lebensraum, insbesondere das Straßennetz, das immer weiter wächst, machen dem Rothirsch zu schaffen. Die Zersiedlung der Landschaft nimmt zu und dadurch werden die einzelnen Rotwild-Populationen immer mehr voneinander getrennt und werden dadurch auch kleiner.

Der kleinere Lebensraum beeinflusst auch die Genetik

Wildbiologen der Uni Gießen haben ganz aktuell dargelegt, dass eine Folge dieser Entwicklung Inzuchtprobleme sind. Die Hirsche pflanzen sich also innerhalb kleiner werdender Rudel fort und so sinkt die genetische Vielfalt in diesen Rudeln. Dadurch lässt dann auch die Widerstandsfähigkeit gegen Umwelteinflüsse und Krankheiten nach.

Außerdem kommt es zu Missbildungen. Ein Problem sind da etwa verkürzte Unterkiefer. Hier wurde der erste Fall schon 2018 dokumentiert. Und so ein verkürzter Unterkiefer kann zu einem Überlebensproblem werden.

Hessen braucht mehr Hirsche

Für den langfristigen, gesunden Fortbestand der Rotwild-Population bräuchte es pro Population mindestens 500 Hirsche. Forschende der Universität Göttingen haben nachgerechnet und festgestellt, dass in ganz Deutschland nur noch zweimal solch große Hirschpopulation existieren. Der Landesjagdverband befürchtet deshalb den Zusammenbruch einiger Population.

Der Gießener Biologe Gerald Reiner merkt an, dass man sich in jedem dritten hessischen Rotwildgebiet aufgrund mangelnder genetischer Vielfalt ernsthaft um den mittelfristigen Erhalt der Art sorgen muss. Den langfristigen Fortbestand der größten heimischen Wildtierart stellt er generell in Frage.

Die Rothirsche müssen wieder aufeinandertreffen

Um etwas dagegen zu tun, müsste man nun die 20 hessischen Rotwildgebiete miteinander zu vernetzen. Rothirsche dürfen sich meist nur in Rotwildgebieten aufhalten, deshalb sieht man sie auch sehr selten in der Natur. Würde man aber diese aktuelle Habitatfragmentierung, also den zerschnittenen Lebensraum, überwinden, dann erweitert das ganz beträchtlich den Raum, der den Tieren zur Verfügung steht.

Die Tiere könnten so dann von einem Gebiet in das andere wandern. Es käme zu einer besseren Durchmischung der Gene, und dadurch könnten sie sich perspektivisch auch besser an künftige Umweltveränderungen anpassen.

Da Autobahnen normalerweise ein unüberwindbares Hindernis für einen Hirsch darstellen, wären begrünte Wildbrücken, die über die Autobahn führen, eine Lösung, um diese Gebiete wieder zu verbinden. Das käme übrigens auch anderen Tieren zugute, die diese Brücken dann gleich mitnutzen könnten. Hier ist aber noch viel zu tun: In Hessen gibt es allein 3000 Kilometer Bundesstraße, aber nach einer Aufstellung von Hessen Mobil von 2019 nur fünf fertige und drei geplante Grünbrücken.

Mit der Jagd muss Schluss sein

Es gibt die Forderung, das wanderndes Rotwild nicht mehr bejagt wird. Hessen ist eines der Bundesländer, in denen Rothirsche nur in speziellen Rotwildgebieten leben dürfen. Außerhalb dieser Gebiete werden sie abgeschossen. Die Deutsche Wildtierstiftung sieht darin sogar eine noch viel entscheidendere Gefährdung der Hirschbestände als in den Autobahnen und den Bundesstraßen. Sie hat deshalb jetzt eine Online-Petition zur Abschaffung der Rotwildgebiete gestartet.

Gefordert sind nun das Umweltministerium, die Umweltschutzorganisation, der Deutsche- und der Landesjagdverband, eine Lösung zu finden. Hierzu gäbe es auch schon Erlasse und Bundesprogramme, die helfen könnten. Diese warten aber noch auf ihre Umsetzung. Der Deutsche Jagdverband schätzt, dass es rund 50 Millionen Euro pro Jahr brauchen könnte, um die Lebensräume der Hirsche wieder zu vernetzen.

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