Gleichstellung von Frauen und Männern Was Deutschland von Spanien lernen kann

Fast zwei Drittel Frauen im Kabinett, ein strenges Gesetz zu sexuellen Übergriffen und keine Begriffe wie "Beziehungstat" in den Medien: Spanien ist in vielen Punkten weiter als Deutschland, wenn es Gleichstellung und Frauenrechte geht.
Vor Beginn der Corona-Pandemie gehörten die spanischen Demonstrationen zum Internationalen Frauentag zu den größten weltweit. Fünf Millionen Menschen und mehr gingen im ganzen Land auf die Straße. Frauen, die weniger Komplimente und mehr Hinwendung zu unangenehmen Wahrheiten forderten.
Spitzenpolitiker wie Ministerpräsident Sánchez von der sozialdemokratischen Partei PSOE liefen ganz vorne mit. 2018 erklärte Sánchez, ab jetzt werde alles anders: "Wir stehen vor einem historischen Moment für die spanische Gesellschaft, angeführt von den Frauen des Landes, die Frauen und Männer zusammengebracht haben. Es geht um Gerechtigkeit."
Frauenanteil von 64 Prozent im Kabinett
Spanien hat eine der weiblichsten Regierungsmannschaften in Europa. Der Frauenanteil im aktuellen Kabinett liegt bei 64 Prozent. Das Gleichstellungsministerium, derzeit unter Irene Montero vom Linksbündnis Podemos, ist sehr aktiv und brachte unter anderem das sogenannte „Nur-Ja-ist-ja“-Gesetz ein – ein Gesetz zur sexuellen Selbstbestimmung. Es stellt sexuelle Handlungen ohne die explizite Zustimmung aller Beteiligten unter Strafe. Jeder sexuelle Übergriff gilt als Vergewaltigung – egal, ob das Opfer es aus Angst geschehen lässt oder sich wehrt.
Bei einem Festakt in Madrid am Vorabend des 8. März erläuterte Montero die Ziele der feministischen Agenda der spanischen Regierung, "mit der wir alle Formen geschlechtsbezogener Gewalt bekämpfen und ausrotten können, so dass alle Frauen ein Leben ohne Gewalt und mit Beziehungen führen können, die von Zustimmung und guter Behandlung geprägt sind."
Gesetz zur sexuellen Selbstbestimmung
Monteros Ziel ist es, dass das Gesetz in diesem Jahr endgültig in Kraft tritt. Die spanische Regierung hatte mit ihm auf ein Verbrechen aus dem Jahr 2016 reagiert. Fünf Männer hatten damals in Pamplona eine junge Frau mehrfach vergewaltigt und die Tat gefilmt – ein Gericht sah das zunächst als sexuellen Missbrauch an und verhängte vergleichsweise milde Strafen. Es gab Massenproteste. Spaniens Oberster Gerichtshof verhängte einige Monate später hohe Haftstrafen gegen die Täter. Die Tat hat den Umgang in Spanien mit Sexualdelikten verändert, auch mit Blick auf Gewalt in der Partnerschaft.
Anders als in deutschen Medien tauchen Begriffe wie Familiendrama oder Beziehungstat in der spanischen Berichterstattung nicht auf. Hier ist die Rede von "violencia machista" oder "violencia de genero" – also geschlechtsbezogener Gewalt. Seit 2005 gibt es in Spanien eine sogenannte Schwerpunktsstaatsanwaltschaft, die sich ausschließlich mit geschlechtsbezogener Gewalt beschäftigt. Und das zeigt Wirkung. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft verlieren in Spanien im Verhältnis zur Bevölkerung weniger Frauen ihr Leben durch geschlechtsbezogene Gewalt als in Deutschland. 44 Frauen waren es 2021 in Spanien, 139 im Jahr zuvor in Deutschland – neuere Zahlen für Deutschland gibt es bisher nicht.
Richter und Polizisten werden in Ausbildung geschult
Zudem werden Richterinnen und Polizisten schon in der Ausbildung geschult, sensibel mit Opfern geschlechtsbezogener Gewalt umzugehen, um Frauen zu ermutigen, Anzeige zu erstatten. Ein Ende geschlechtsbezogener Gewalt ist allerdings auch in Spanien nicht absehbar. Seit Beginn der Datenerhebung im Jahr 2003 starben nach Angaben des Gleichstellungsministeriums 1.132 Frauen infolge geschlechtsbezogener Gewalt. Allein in diesem Jahr gab es bisher sechs solcher Delikte.