Analyse Klimaschutz: Ist die EU fit für 2022?

Mitte Juli hat die EU-Kommission Vorschläge gemacht, um die Klima-Vorgaben einzuhalten. Jetzt sind Mitgliedsstaaten und Parlament am Zug. Die Zeit drängt.
Für den internationalen Klimaschutz war 2021 kein schlechtes Jahr: Die Europäische Union hat deutlich gemacht, wie sie ihre ehrgeizigen Ziele erreichen will und viele andere Staaten haben sich überhaupt erst mal Ziele gesteckt – auch die beiden größten Klimasünder China und USA. EU-Kommissionsvize Frans Timmermans zieht nach dem Weltklimagipfel in Glasgow im November eine positive Bilanz: "Vor zwei Jahren standen wir Europäer alleine. Die USA wurden von einem Klimaleugner regiert, China wollte nichts tun. Jetzt setzen sich alle das Ziel, klimaneutral zu werden." Die EU will das bis 2050 erreichen: unter dem Strich nicht mehr klimaschädliche Gase ausstoßen als eingespart werden.
Um Europa entsprechend auf die Spur zu bringen, hat die EU-Kommission ein ganzes Paket von Gesetzen vorgelegt. Die würden tief eingreifen in die Lebens- und Wirtschaftsweise von 450 Millionen Menschen: keine Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035, mehr Ladesäulen für E-Autos, ein Emissionshandel auch für Verkehr und Gebäude, die Pflicht zur Gebäudesanierung, ein Sozialfonds, um ärmere Familien und kleine Firmen zu unterstützen.
Positive Signale aus Polen nutzen
Darüber müssen jetzt die 27 Mitgliedsstaaten und das EU-Parlament diskutieren - möglichst schnell, denn die Zeit drängt, sagt Kommissionschefin Ursula von der Leyen: "Wir haben diese Dekade, um noch wirklich entscheidende Weichen zu stellen. Natürlich liegt es in den Händen der einzelnen Staaten selbst. Und es ist ein Wettlauf zwischen Erkenntnis und Umsetzungsfreude." Aber die ist nicht in allen EU-Staaten groß.
Osteuropäische Länder sehen Brüssels Klimapaket kritisch - vor allem einen neuen Emissionshandel, der Öl, Gas und Kraftstoff teurer machen würde, wo doch die Energiepreise sowieso auf Rekordkurs liegen. In Polen hört Audrey Mathieu von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch aber auch neue, zustimmende Töne. Das müssten andere Akteure nutzen. "Es sind genau diese kleinen, aber positiven Signale, die Deutschland und Frankreich aufgreifen sollten, um die Wahrnehmung Polens etwas zu verändern und dieses Land in die bilateralen Abstimmungsprozesse frühzeitig auf Augenhöhe einzubinden, damit die Verhandlungen schneller und konstruktiver vorankommen", findet Mathieu.
Schub von Frankreich?
Die neue Bundesregierung will Brüssels Klimapläne nach eigenen Angaben tatkräftig unterstützen. Und Frankreich braucht Erfolge während seiner EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr. Immerhin wurde das Klimaabkommen, an dem sich die Welt orientiert, vor sechs Jahren in Paris besiegelt.
Matthias Buck von der Denkfabrik Agora Energiewende traut den Franzosen einiges zu – etwa wenn es darum geht, Europas Industrie durch einen Ausgleichsmechanismus vor ausländischer Konkurrenz mit niedrigeren Klima-Standards zu schützen. "Zum einen werden sie versuchen, eine politische Vorfestlegung zu schaffen bei den sehr strittigen Fragen eines Grenzausgleichsmechanismus. Und der andere wichtige Punkt aus französischer Sicht ist die geplante Ausweitung des Emissionshandels auf Verkehr und Gebäude. Da rechne ich damit, dass Frankreich versuchen wird, während seiner Präsidentschaft Vorentscheidungen zu erreichen", so Buck.
Mit einem Paket nach Ägypten
Bis zum Sommer könnten Mitgliedsstaaten und EU-Parlament die Vorschläge jeweils für sich beraten haben. Danach müssen sie untereinander und mit der Kommission Kompromisse finden. Wenn es rund läuft, reist die EU im November mit einem halbwegs geschnürten Paket zum nächsten Weltklimagipfel nach Ägypten - je überzeugender es ausfällt, umso eher ziehen andere Staaten mit. Beim Gipfel wird berechnet, wie groß der Abstand noch ausfällt zum Paris-Ziel, die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad zu begrenzen. Entsprechend müssen Regierungen ihre nationalen Ziele nachschärfen.
In der EU wird laut Agora-Experte Buck längst nicht mehr darüber diskutiert, wo man hinwolle, "sondern darüber, welche konkreten Maßnahmen in Europa verbindlich werden für Mitgliedsstaaten und Unternehmen, um unsere deutlich höheren Klimaschutzziele auch tatsächlich zu erreichen." Die sehen vor, Europas Emissionen bis 2030 um 55 Prozent zu senken gegenüber 1990. Fit for 55 hat Brüssel seine Klimapläne deshalb genannt. Zunächst aber muss die EU beweisen, dass sie fit ist for 22.