Vegetarische Produkte in einer Kaufland Filiale

Hühnchen-Nuggets ohne Hühnchen, Burger aus Erbsen, Würstchen aus Getreide: Alternativen zu Fleisch füllen immer mehr Supermarktregale. Vieles davon kommt aus Singapur. Das südostasiatische Land ist Vorreiter und Versuchsküche für Veggie-Wurst und Co - nicht nur aus Klimaschutz-Gründen.

Ein schön dekorierter Raum in einem Privatclub in Singapur, an die Wände sind stimmungsvolle bunte Bilder projiziert, rund um einen Esstisch sitzen fein gekleidete Gäste, und auf dem Tisch vor ihnen steht eine Art Weltsensation: Chicken Nuggets, für die kein Hühnchen sterben musste. Das Fleisch wuchs stattdessen aus Hühner-Stammzellen in einer Nährlösung heran. Die Gäste scheint es zu überzeugen: "Ich dachte, das würde mich stören, aber kein bisschen." - "Es schmeckt auf jeden Fall nach besserer Qualität als Chicken Nuggets normalerweise." Sie haben das Laborgeflügel schon Anganf des Jahres testen dürfen.

Laborfleisch soll die Welt retten

Singapur hat dem Unternehmen "Eat Just" im Dezember 2020 als erstes Land die Genehmigung erteilt, ihre Hühnchen-Nuggets ohne Hühnchen aufzutischen. Ein historischer Moment, fand Gründer Josh Tetrick: „Wir hoffen, dass das nur der erste Schritt zu einer Welt ist, in der für den Großteil des Fleisches, das wir essen, kein Tier mehr getötet, kein Baum mehr gefällt und kein Tropfen Antibiotika mehr gebraucht werden muss. Es wird eine bessere Welt.“ 

Laborfleisch und Laborfisch sollen also die Welt retten. Damit die Ozeane nicht weiter überfischt werden, entwickeln Firmen in Kalifornien beispielsweise Thunfisch und Mahi-Mahi im Labor, in Japan arbeiten Forscher am Wagyu-Steakt aus Nährlösung und 3D-Drucker und in Singapur bringen die drei Gründer von "Ants Innovate" Schweinefleisch aus Zellkulturen in die Restaurants. "Das war nie so dringend wie jetzt in der Klimakrise“, meint Shujian Ong, zuständig für Forschung und Entwicklung bei "Ants Innovate". Momentan bekämen sie noch mehr Aufmerksamkeit und Investitionen und Unterstützung auch von der Regierungsseite. "Denn zum einen sehen wir alle die Probleme der intensiven Landwirtschaft, aber durch Covid eben auch die Gefahr, dass durch Viehzucht und Tierkonsum Zoonosen entstehen." Also dass Infektionskrankheiten von Tieren auf Menschen übertragen werden.

Der Regierung geht es um Nahrungssicherheit

Singapur, der kleine Stadtstaat in Südostasien, ist weltweit führend in seiner Gesetzgebung für „alternative Proteinprodukte“, so die offizelle Formulierung. Sie können verkauft werden, nachdem sie eine Sicherheitsüberprüfung überstanden haben und klar ausgezeichnet sind - also Laborfleisch als „gezüchtet“, Fleischalternativen aus Erbsen, Soja, Getreide, Algen oder Pilzen und so weiter als „auf Pflanzenbasis“ oder „Mock Meat“, also Mogelfleisch. 

Das sogenannte Mock Meat hat bereits eine jahrhundertealte Tradition in China, die Idee stammt aus buddhistischen Klöstern. Auch in Singapur gibt es Mogelfleisch seit langem schon im Kühlregal oder in den Garküchen oder zum Beispiel in einem Tempelrestaurant in Chinatown, in dem ein Zahn Buddhas als Reliquie verehrt wird. Ist Singapur deshalb so offen in der Gesetzgebung und Förderung von Fleischalternativen? "Nein, wir sind eigentlich konservativ in unserem Geschmack“, erzählt Shujian Ong. Die drei Gründer von "Ants Innovate" essen auch alle gerne Fleisch – so wüssten sie umso besser, was Fleischesser von einem Produkt erwarten, meint er. "Die Regierung von Singapur unterstützt diese Mission, sie will Talente und Technologien anlocken. Dabei geht es der Regierung vor allem um Nahrungssicherheit. Sie hat das Ziel 30 x 30 ausgerufen, also 30 Prozent des Nahrungsmittelbedarfs bis 2030 aus Singapur selbst decken zu können."

Bioreaktoren platzsparender als Weideflächen

Ein Stadtstaat von der Landfläche Hamburgs mit knapp sechs Millionen Einwohnern kann dafür keine riesigen Weideflächen und Ställe beherbergen – aber Labore und Fleischzellenfarmen schon. In ihren vertikal angelegten Bioreaktoren, sagt Shujian Ong, könnten sie auf 100 Quadratmetern Fläche täglich tonnenweise Schweinefleisch produzieren. Ohne, dass ein Schwein dafür sterben muss. Momentan arbeiten sie an der endgültigen Produktion von Bak Kwa, einem beliebten Snack aus süß-salzig gegrilltem Schweinefleisch, später sollen auch Schweinebauchstücke aus dem 3D-Drucker dazukommen, mit der richtigen Textur und dem entsprechenden Mundgefühl. "Dafür haben wir eine Million Dollar öffentliche Fördergelder bekommen, um Zellen in den Bioreaktoren zu ganzen Fleischstücken zu entwickeln."

Singapur sieht sich hier, wie in vielen anderen Bereichen auch, als Vorreiter und regelrechte Versuchsküche und hat Entwicklungszentren angelegt, die viele Investoren und Startups anlocken. In den nächsten zehn Jahren könnte der Markt für Fleischalternativen laut der Barclays-Bank 140 Milliarden Dollar groß sein, immerhin ein Zehntel der weltweiten Fleischindustrie. Es ist also ein Geschäft - in das nicht nur Laborfleisch-Entwickler hineindrängen. Gerade in Singapur füllen sich die Supermarktregale auch mit neuen Fleischalternativen auf Pflanzenbasis: Frühstücksfleisch und Bolognese, Krabbenklöße und Wagyu-Streifen, Kebap und Fischstäbchen.

Gesünder und klimafreundlicher

Flexetarier, Menschen, die einen Teil ihres tierischen Proteins durch Pflanzenprodukte ersetzen wollen, sind die am schnellsten wachsende Konsumentengruppe in Singapur. Beide Formen der neuen Fleischalternativen, ob aus Pflanzen oder dem Labor, sind in den meisten Fällen gesünder als herkömmliches Fleisch. Vor allem aber klimafreundlicher. "Wenn man Fleisch im Labor züchtet, kann man den Landverbrauch um 99 Prozent senken und den Wasserverbrauch um 90 Prozent", sagt Shujian Ong, Mitentwickler des Schweinefleischs ohne Schweinetötung. Das wäre auch ganz in Buddhas Sinne. Im Sinne des Klimas auf jeden Fall – und damit auch in unserem eigenen.

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