Die Flaggen der Ukraine, von Frankreich, Europa, Deutschland und Russland (picture alliance / photothek)

Bundeskanzler Scholz bezeichnete den Angriff Russlands auf die Ukraine als einen "düsteren Tag für Europa". Aber ist der Konflikt nicht weit weg von uns? Eben nicht, findet unser Kommentator. Der Konflikt habe direkt mit uns zu tun.

Ich habe das Gefühl, gestern wurde die Uhr um 40 Jahre zurückgestellt. In eine Zeit, als sich Ost und West gegenüberstanden, sich gegenseitig mit Atomwaffen bedrohten. Das tut weh. Ich war in den 1980er begeistert von Michael Gorbatschow und der Perestrojka, wie viele andere in Deutschland und darüber hinaus. Ich habe Russisch gelernt, viel Zeit in Russland verbracht, dort viele großartige Menschen kennengelernt. Aber Wladimir Putin ist mir fremd. Und sein Überfall auf die Ukraine trifft mich ins Herz. Viele Menschen leiden, weil einer in einer Wahnwelt lebt, die seit Jahrzehnten überwunden schien.

Manche sagen jetzt: Die Ukraine ist doch weit weg. Ich sage: Nein, sie ist uns nah. Putin greift die Ukraine an, weil sie so sein will, wie wir. Frei und demokratisch. Das empfindet Putin als Bedrohung. Dann sind wir auch eine Bedrohung, dann ist das auch ein Angriff auf uns.

"Den Menschen in Russland nützt das nichts"

Manche sagen jetzt: Russland hat doch einen Punkt, die NATO und der Westen insgesamt bedrohen Russland doch wirklich. Ich sage: Wo denn? Mit den überschaubaren NATO-Einheiten im kleinen Baltikum? Mit der Gasleitung Nord Stream 2? Mit Gaskäufen? Ich sehe es andersherum: Putin rüstet seit Jahren auf, richtet neue Hightech-Raketen auf andere Staaten und droht jetzt offen mit Atomwaffen. Und es ist unerträglich, dass er seinen Überfall auf die Ukraine jetzt als Abwehrkampf gegen Nazis beschreibt und mit dem Kampf gegen Hitlers Armeen im Zweiten Weltkrieg vergleicht.

Putin überfällt die Ukraine, weil er es kann. Weil Russland zwar wirtschaftlich ein Zwerg ist, aber militärisch eben immer noch ein Riese. Den Menschen in Russland nützt das alles nichts. Sie werden jetzt höchstens noch ärmer werden, als sie es ohnehin schon sind.

Mehr als nur Putin

Ich weiß, dass es in Russland Menschen gibt, die nicht wie Putin denken. Vielleicht gewinnen sie ja irgendwann auch Einfluss. Das ist meine Hoffnung. Auf ein Einsehen Putins hoffe ich nicht mehr. Viele Russinnen und Russen finden das Leben in Deutschland, Frankreich oder den USA längst attraktiver als das Leben in Russland. Sie schätzen Freiheit und Wohlstand. Die Reichen, die es sich leisten können, kaufen Wohnungen in New York oder Frankfurt. Ärmere Russinnen und Russen träumen von Ausreise und Neuanfang im Westen, viele verwirklichen diese Träume auch.

Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Dazu habe ich zu viele wunderbare Menschen kennengelernt in Russland. Da ist nicht nur Putin.

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