ÖPNV in Gießen Regionen und Städte kämpfen mit zerfaserten Strukturen

Lange Wartezeiten auf Busse und Bahnen - insbesondere auf dem Land. Das Fahren mit dem Öffentlichen Personennahverkehr ist so manches Mal frustrierend. Die Ursache: Oft sind die Fahrpläne der regionalen Verkehrsunternehmen wenig aufeinander abgestimmt - zum Beispiel rund um Gießen. Wie kommt es dazu? Und wie ginge es besser?
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Meinung: "Macht endlich ÖPNV-Politik für alle"
Am Gießener Bahnhof kommen Tag für Tag zig Pendlerinnen und Pendler an. Der Bahnhof der Universitätsstadt ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt in Mittelhessen. Doch dorthin zu kommen - oder besser: darüber hinaus - das ist gar nicht so einfach, erzählen einige Passanten: Eine junge Frau kommt aus dem Friedberger Stadtteil Ockstadt. Sie sagt: "Da fährt am Wochenende gar nichts." Ein anderer ärgert sich über lange Wartezeiten: "Ich finde die Zeitfenster von einer Stunde zwischen den Busabfahrtszeiten ein bißchen arg." Und noch jemand erzählt, dass in der Gemeinde Biebertal am Wochenende nur alle zwei Stunden ein Bus fahre. Er halte das für problematisch.
Eine der Ursachen: Landkreise und große Städte wie Gießen und Wetzlar betreiben eigene Nahverkehrsverbände mit eigenen Busfahrplänen - und planen für sich, oft ohne Absprache mit den umliegenden Kreisen. Das führt teils zu aberwitzigen Situationen, kritisiert der Vorsitzende des Fahrgastverband Pro Bahn Thomas Kraft. Ein Beispiel: Die Verbindung zwischen Lützellinden, dem südlichsten Stadtteil Gießens, in die nahegelegene Stadt Wetzlar. Kraft erzählt: "Lützellinden grenzt an Stadtteile von Wetzlar. Es ist aber nicht möglich von Lützellinden nach Wetzlar zu fahren. Da muss ich erst in die Stadt Gießen, um von dort nach Wetzlar zu fahren und dann bin ich unter Umständen eineinhalb Stunden unterwegs." Und das für eine Strecke von vielleicht sechs Kilometern Luftlinie.
Nahverkehr in Mittelhessen schlecht aufeinander abgestimmt
Das sei nur ein Beispiel von vielen, so Kraft. Mit Blick auf den Öffentlichen Personennahverkehr sei Mittelhessen eine der zerfasertsten Regionen in ganz Hessen: "Das ist wirklich wie in der Zeit vor Gründung des Kaiserreichs 1871, da hatten wir in Mittelhessen auch verschiedene Kurfürstentümer und da ist man zehn Kilometer geritten und kam über zwei Zollgrenzen. So kommt man sich in Mittelhessen auch vor, wenn man mit dem ÖPNV unterwegs ist."
Auch die Gießener Stadträtin Gerda Weigel-Greilich von den Grünen kennt das Problem mit der Koordinierung des ÖPNV. Sie vermisst, dass sich Kreise und eigenständige Städte aufeinander abstimmen. Ein Beispiel dafür sei der Ausbau der Vogelsbergbahn, so Weigel-Greilich: "Im Interesse der Stadt sind zwei, drei weitere Haltepunkte in Gießen. Das widerspricht aber dem Interesse der ländlichen Kommunen, schnell in die Stadt zu kommen."
"Brauchen ein neues ÖPNV-Gesetz"
Pro-Bahn-Vorstand Kraft sieht die hessische Landesregierung in der Pflicht. Die müsse ein neues ÖPNV-Gesetz auf den Weg bringen - mit einheitlichen Mindeststandards für alle, wie oft es Verbindungen geben muss, fordert Kraft: "Jede Gemeinde müsste durch den Nahverkehr zumindest alle 30 Minuten mit Orten mit mehr als 1.500 Einwohnern angeschlossen sein." Damit alle, die das wünschen, mit Bus oder Bahn zur Arbeit fahren können.
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Verkehrsminister Al-Wazir: "Es gibt keinen kostenlosen ÖPNV"
Auf hr-Anfrage antwortet das hessische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen unter dem Grünen-Politiker Tarek Al-Wazir, dass man nicht in die kommunale Selbstverwaltung eingreifen wolle. Kreise und Städte wüssten am besten, was sie bräuchten und wo es überhaupt Bedarf an Verkehrsmitteln gebe. Das sieht die Gießener Parteikollegin des hessischen Wirtschafts- und Verkehrsministers Al-Wazir anders. Stadträtin Weigel-Greilich meint: "Für eine Verkehrwende und auch, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen, brauchen wir einen besser aufeinander abgestimmten ÖPNV, mit mehr Steuerfinanzierung. Und das geht nur, wenn das auf einer höheren Planungsebene abgestimmt wird."