Meinung Ungeimpfte dürfen nicht Bürger zweiter Klasse sein

Die Corona-Politik macht unserem Kommentator zu schaffen. Ja, es muss etwas gegen die Pandemie getan werden, aber nein, das Grundrechte kann man trotzdem nicht so einfach abschaffen. Auch nicht für Ungeimpfte.
Jetzt zeigen wir’s euch, ihr Ungeimpften: Mal sehen, wie lange ihr durchhaltet. Das ist das Motto der Politik. Wer nicht spurt, soll spüren – spüren, wie sich Einsamkeit anfühlt, wenn man sich künftig nur noch mit maximal zwei Personen eines anderen Haushalts treffen darf. Wenn überhaupt noch jemand Kontakt zu Ungeimpften aufnehmen will. Dort, wo auch Frisöre nur noch mit 2G besucht werden können, kann man sie sogar am Haarschnitt erkennen – die Ungeimpften. Ich gestehe: So langsam werde ich zynisch, wenn ich an die Konsequenzen der jüngsten Maßnahmen von Bund und Ländern denke.
Simple Gleichung spaltet und ist falsch
Dabei will ich die schwierige Situation der Politik nicht kleinreden. Nicht einstimmen in den Chor derjenigen, die meinen, man hätte schon viel früher viel schärfer agieren müssen – in einer Zeit, in der das angesichts niedriger Inzidenzen kaum jemand verstanden hätte. Noch weniger will ich die schwierige Situation in den Krankenhäusern kleinreden, wo sich Ärzte und Pfleger beim Kampf um das Leben ungeimpfter Corona-Patienten fragen, ob das nicht vermeidbar gewesen wäre.
Doch die Gleichung "geimpft sein ist verantwortungsbewusst", und "ungeimpft sein ist unverantwortlich", die von vielen Politikern nach dem Bund-Länder-Treffen zu hören war, spaltet nicht nur, ich halte sie auch für falsch. Ich kenne Ungeimpfte, die gerade, weil sie sich gegen eine Impfung entschieden haben, sehr verantwortungsbewusst leben. Und ich habe Geimpfte erlebt, die – in der irrigen Annahme, ihnen könne ja nichts passieren – so tun, als sei Corona vorbei. Leider wurden sie dabei von Politikern bestärkt, die die Impfung als den direkten Weg in die Freiheit verkauften.
Das Grundgesetzt gilt nicht nur für Geimpfte
Freilich: Die Freiheit hat derzeit ohnehin keinen guten Stand – von "Freiheitsgesäusel" ist abschätzig die Rede. Doch das ist gefährlich – auf Dauer noch gefährlicher als die Pandemie. Denn Grundrechte dürfen auch in einer Krise nicht außer Kraft gesetzt werden. Impfen ist sinnvoll und wichtig – und doch zeigt sich gerade im Umgang mit den Menschen, die davon nicht überzeugt sind, ob wir die Freiheit ernstnehmen. Das Grundgesetz gilt eben nicht nur für Geimpfte.
Dass es jetzt für Ungeimpfte nicht mehr möglich sein soll, sich im Geschäft eine Hose oder Schuhe zu kaufen, dass man ihnen mancherorts den Besuch beim Frisör verwehrt – das geht zu weit. Mag sein, dass viele Geimpfte sagen: "Das haben sie davon, sollen sie sich halt impfen lassen". Aber das passt nicht zu einem freiheitlichen Staat. Ungeimpfte dürfen nicht Bürger zweiter Klasse sein.
Die Meinung des Kommentators spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion wider.
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