Hessen Wie Menschen mit russischer Herkunft auf den Krieg schauen

In Hessen leben etwa 19.000 russische Staatsangehörige. Wir haben mit zwei von ihnen gesprochen und sie gefragt, was sie aus ihrer Heimat hören und wie sie zum Krieg in der Ukraine stehen.
Waldemar aus Offenbach lebt seit fast 30 Jahren in Deutschland. Geboren ist er in Nowosibirsk, im Süden Russlands. Der Krieg in der Ukraine ist auch für ihn schwer zu ertragen: "Wie viele Menschen, wir konnten es nicht fassen. Und dann sah ich die Bilder und wusste: Die Welt ist nicht mehr so, wie sie war. Bis dahin war es einfach nur Schockstarre, Unglaube, es dauert bis heute noch teilweise an. Und Hilflosigkeit. Das Gefühl der Machtlosigkeit. Denn man kann nichts dagegen machen."Aber ‚gemacht‘ hat er trotzdem. Am vergangenen Wochenende hat er eine Mahnwache aus Solidarität mit der Ukraine veranstaltet - mit Freunden an der Frankfurter Hauptwache: "Russen gegen den Krieg".
Russische Community ist sich "weitgehend einig"
"Es ist ein Angriffskrieg, den Russland führt. Also es wird in Russland durch Euphemismen versucht zu kaschieren und zu glätten – aber ein Fakt bleibt Fakt: Dass dort aus dem Himmel der Tod kommt - und zwar für die zivile Bevölkerung." Waldemar ist sichtlich gezeichnet von all dem, was da gerade passiert. In seinem Bekanntenkreis, in der russischen Community hierzulande, sei man sich einig. Doch es gebe auch hier – nach seinem Empfinden - eine "absolute Minderheit", die was anderes denken würde: "In Facebook sieht man einzelne Stimmen, die diese Standardparolen nachbeten. Da merkt man auch, dass es Leute gibt, die von der Kreml-Propaganda tatsächlich überzeugt sind. Also die scheinen zu glauben, dass das, was da passiert, zu Recht geschieht."
Gegen den Ukraine-Krieg ist auch Tatjana aus Frankfurt. Schon seit fast 25 Jahren lebt die geborene Moskauerin in Deutschland. Sie schämt sich dafür, was Putin anrichtet. Mit ihren russischen und ukrainischen Bekannten in Deutschland hat sie keinen Streit – doch was sie aus der Heimat hört, schmerzt sie: "Die Leute, die dort wohnen, das ist eine Katastrophe, die sind alle sehr, sehr entschieden für diese, wie sagt man? 'Maßnahme'. Und sehr feindlich den Ukrainern gegenüber und dem Selenskyj gegenüber. Und die behaupten, das ist ein faschistisches Land und die Nazis kommen jetzt nach Europa und so weiter und so fort."
Sorge um Menschen in Russland
"Massive Propaganda", die die einfachen Leute glauben, berichtet Tatjana. Nicht ohne persönliche Folgen: Tatjana kommuniziert nicht mehr mit ihnen. "Ich habe das einmal getan, das hat gereicht. Es wurde mir so viel vorgeworfen – dass ich hier wohne, dass ich nicht auf der richtigen Seite bin. Also ich rufe nicht mehr an", sagt sie. Leicht fällt es ihr nicht, über all das zu sprechen, denn sie liebt ihr Land, fährt gerne nach Moskau, in ihre Heimatstadt. Schwärmt von der reichhaltigen russischen Kultur.
Hier, in ihrer Wahlheimat, hat sie keine Probleme mit Anfeindungen, weil sie Russin ist. Auch Waldemar aus Offenbach nicht. Er erlebt Rücksicht: "Anfeindungen habe ich bisher keine erlebt und von meinen Bekannten gab es bisher weder Anfeindungen noch irgendwelche Fragerei. Ich glaube, die Leute lassen mich teilweise in Ruhe, weil sie wissen, dass ich momentan in einer sehr genervten Lage bin. Weil es gibt noch Leute in Russland, die mir lieb und teuer sind und die können das Land nicht verlassen. Ich mache mir tierische Sorgen um sie. Meine Forderung und Hoffnung: Beendet diesen Krieg."