Der Angeklagte Alexander Horst M. unterhält sich mit seinem Anwalt

Seine Texte sollen Alexander M. verraten haben: den Mann, der die NSU 2.0-Drohschreiben verfasst haben soll. Der Wissenschaftszweig, der dabei hilft, nennt sich Forensische Linguistik – und wird im Social-Media-Zeitalter immer wichtiger.

Sprache ist verräterisch. Für Expertinnen wie Tatjana Scheffler ist das mehr als eine Floskel. „Digitale Forensische Linguistik“, so heißt der Forschungsschwerpunkt der Junior-Professorin von der Bochumer Ruhr-Universität. Klingt kompliziert – und ist es auch.

Im Kern geht’s darum, herauszufinden, wer einen Text verfasst hat. Und da helfen Scheffler zufolge gern mal die unscheinbaren Details: „Diese grammatischen, syntaktischen Verbindungen, eben die kleinen Wörter. Präpositionen, Füllwörter, Konjunktionen und so weiter. Die hat man viel weniger unter bewusster Kontrolle. Und da gibt es dann schon sehr starke Stilmerkmale.“

Es geht hauptsächlich im Satzbau

Solche Muster lassen im Fall von Alexander M. vermuten, dass er die vor Hass und Gewaltfantasien strotzenden Briefe und Faxe verfasst hat, deren erstem Ziel, der Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz, viele weitere gefolgt sind.

Die sogenannte Autorenerkennung wird in der Strafverfolgung immer wichtiger. Nicht nur beim Bundeskriminalamt, das dafür eine eigene Abteilung unterhält. Isabelle Thormann aus Braunschweig tritt in Gerichtsverfahren als Sachverständige für solche Textanalysen auf. Sie sagt, für ein belastbares Ergebnis sei sehr viel mehr nötig als Schlüsselwörter zu zählen und Beleidigungen zu vergleichen: „Das geht nur, wenn man auch eine qualitative Analyse betreibt. Da geht es hauptsächlich um Satzbau. Und das ist ein Bereich, in dem sich Verfasser, die anonym bleiben möchten, ganz schlecht verstellen können.“

Neutrale Analyse von Fakten

Um ein anonymes Schreiben einem Verfasser glaubwürdig zuordnen zu können, muss es Vergleichstexte geben. Und zwar, wie Tatjana Scheffler betont, in ausreichender Zahl und Länge: „Die Fähigkeit, das zu beurteilen, muss dadurch gegeben sein, dass man mehrere verschiedene Merkmale heranzieht und hoffentlich auch eine Datenmenge hat, die über ein, zwei Texte hinausgeht. Dann kann man schon zu relativ gesicherten Erkenntnissen kommen.“     

Gelingen könne das nur mit einer sauberen methodischen Grundlage, sagt Forensik-Experte Martin Steinebach vom Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie in Darmstadt: „Der Forensiker sucht sich nicht verzweifelt irgendwelche Anhaltspunkte, um dann seine Meinung zu belegen. Es ist tatsächlich der Versuch, möglichst neutral die Datenlage zu analysieren. Über Fakten, die man aus Texten rausziehen kann.“   

Vorauswahl durch Computerprogramme 

Damit Behörden diejenigen rausfischen können, die im Netz Hass und Hetze verbreiten, setzt Steinebach – wie die Bochumer Sprachwissenschaftlerin Scheffler – auf die Hilfe von Computerprogrammen. Anders sei die Textmenge etwa der Social-Media-Plattformen gar nicht zu bewältigen: „Die kann kein Mensch alle nach ,Hate Speech‘ durchlesen. Und dann brauche ich halt erst mal ein Computersystem, das zumindest mal die krassesten Fälle zuverlässig findet und dann eben einem menschlichen Entscheider übergibt.“ 

Der wird in Zukunft wohl immer häufiger nicht bei der Kriminalpolizei arbeiten. Die Braunschweiger Sachverständige Thormann hat auch viel mit Konflikten zu tun, die in der Firma ausgetragen werden – oder in der Familie. Bedrohung, Rufschädigung, aber auch gefälschte Testamente sind laut Thormann typische Delikte. Auf diesen und anderen Gebieten gehen ihr die meist privaten Auftraggeber nicht aus.

Ein Meilenstein?

Auch bei den Ermittlungsbehörden wird die Bedeutung der Forensischen Linguistik wohl wachsen. Dass der Durchbruch bei den Ermittlungen zum Fall NSU 2.0 den Methoden der Textanalyse zu verdanken ist, könnte sich als Meilenstein erweisen.

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