Frau in Hängematte

Zeit ist Geld: ein alter, aber noch immer gültiger Satz. Doch je mehr Zeit wir fürs Geldverdienen brauchen, desto weniger bleibt für uns selbst übrig. Dabei sei der Mensch ein rhythmisches Wesen und als solches auf Pausen angelegt, sagt der Zeitforscher Karlheinz Geißler.

Es ist ein Unterschied, ob man frühmorgens nach dem Klingeln des Weckers gleich aus dem Bett springt, das Frühstück hinunterschlingt, um eilig mit dem Auto zur Arbeit zu fahren. Oder ob man sich etwas mehr Zeit lässt, den neuen Tag begrüßt, den Körper lockert, in Ruhe frühstückt und dann den Arbeitsalltag beginnt. "Ich glaube, dass zum natürlichen Rhythmus eines Menschen auch gehört, Zeit für sich zu haben, also für sich zu sein“, sagt die Sängerin und Musiklehrerin Claudia Rapp-Neumann. Den eigenen Rhythmus zu leben, ist für manche Menschen eine Verlockung. Vielen jedoch ist das offenbar fremd geworden.

Der Mensch braucht Rhythmus

Wer sich vorgenommen hat, regelmäßig zu joggen, aber immer wieder keine Zeit dafür findet, landet mit der eigenen Absicht im Chaos. Zieht man ein Programm einfach nur durch, wird das Vorhaben starr und getaktet. Rhythmus ist flexibel, passt sich inneren Gesetzen und Gegebenheiten an, reagiert auf Einflüsse von außen, lässt Spielraum für Veränderungen und Neues.

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Dieser Text ist ein Auszug aus dem Feature "hr2 Camino: Ach Du liebe Zeit - Die natürlichen Rhythmen im Leben wiederentdecken". Das ganze Feature als Podcast finden Sie hier.

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Der Mensch braucht Rhythmus, er ist ein rhythmisches Wesen. Im Zeitalter des globalen Marktes und des weltweiten Internets gibt es jedoch kaum noch Rhythmus. Mit den modernen Informationsflüssen hat der Mensch sich eine zeitliche und räumliche Freiheit geschaffen. Er ist unabhängig geworden von der Uhrzeit, doch leidet er zunehmend unter einem vertakteten Alltag. Pausen werden immer häufiger als verlorene Zeit gesehen. Gewinnstreben und Konsum haben sich in die menschliche Psyche eingebrannt und feuern an, noch mehr Geld zu verdienen, noch mehr Dinge besitzen zu wollen und noch mehr gleichzeitig zu tun. In dieser Welt des Jetzt und Sofort erscheint alles möglich. Und doch bleibt so Vieles auf der Strecke.

Menschen sind auf Pausen angelegt

„Ein Smartphone kennt keine Pause mehr, ein Internet kennt keine Pause mehr“, sagt der Zeitforscher Karlheinz Geißler. „Aber der Mensch ist ein Pausen-Wesen. Er ist auf Pause angelegt, und deshalb muss er Pausen machen - gegen die Maschine, gegen die Gesellschaft, gegen die Politik. Gleichzeitig merken wir heute, dass ganz viele Pausen wegfallen. Und wenn Pausen wegfallen, wird es immer schwerer, ein Leben zu rhythmisieren, weil die Pause gehört zum Rhythmus. Das merken Sie in der Musik. Pausen sind auch im Leben des Menschen ganz wichtig, um zu strukturieren. Und wenn wir mal erschöpft sind, dann setzen wir uns auf eine Bank. Bänke sind das im Raum, was Pausen in der Zeit sind.“

Eine Pause wird nicht immer Pause genannt. Auch Wartezeiten sind Pausen. Es sind die Zwischenzeiten - Übergänge von einem zum anderen. Viele Naturvölker im Himalaya oder im Amazonasgebiet hingegen leben noch immer mit diesem natürlichen Wissen, so die Ethnologin Claudia Müller-Ebeling. „Die Menschen fühlen sich geborgen in diesem Kreislauf des Lebens, und das endet und beginnt nicht nur mit der eigenen, individuellen Geschichte. Das bedeutet, wenn wir uns auf die ganzen natürlichen Prozesse konzentrieren, dann sehen wir, dass alles zyklisch ist. Und in diesen Kulturen ist dieser zyklische Gedanke eben noch ganz stark verbreitet.“

Takt der Uhr statt Natur

Im Rhythmus mit Wetter und Natur, im Vertrauen auf Gott - so hat auch der westliche Mensch lange Zeit gelebt. Bis ins 14. Jahrhundert hinein fügte er sich in die göttliche Ordnung von Zeit und Natur. Doch Naturkatastrophen und Hungersnöte machten ihm das Leben schwer. „Deshalb hat man die Uhr sozusagen als Punkt genommen, wo man die Zeitorganisation der Natur weggenommen hat und auch Gott weggenommen hat und sich selbst sozusagen zum Zeit-Gott gemacht hat oder die Uhr zum Zeit-Gott gemacht hat“, so Karlheinz Geißler.

Man habe sich nicht mehr nach den Natur-Rhythmen organisiert, sondern nach dem Takt der Uhr. „Wir haben dann Zeit in Geld verrechnet und nicht mehr die Natur verrechnet. Durch diese Vertaktung konnten wir sehr stark beschleunigen und diese Beschleunigung hat uns immer mehr an Wohlstand und Geld gebracht. Aber wir sind erheblich ärmer an Zeit geworden. Das heißt, unser Zeitwohlstand ist rückläufig.“

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