Lisanne Richter

Lisanne Richter schreibt sexistische Sprüche mit Kreide auf die Straße. Sie will damit aufmerksam machen auf ein Problem, das noch viel zu oft belächelt werde: Catcalling, also verbale, sexuelle Belästigung.

Lisanne Richter verbraucht etwa ein Paket Kreide pro Monat. Damit dokumentiert  die angehende Lehrerin verbale, sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum. „Dich würde ich auch sofort f***“ steht dann da in bunten Buchstaben auf der Straße, oder „Er (45) verfolgte uns (14) und schrie immer wieder 'Schlampe'."

Kreide-Aufschrift auf einer Straße: "Schützenfest. Der Mitarbeiter sagte zu mir: Geile, fette Titten hast Du"

Die 25-Jährige will damit aufmerksam machen auf ein gesellschaftliches Problem, bei dem Betroffene noch viel zu oft hören müssten: ‚Stell Dich doch nicht so an, das ist doch ein Kompliment!‘ Es nennt sich Catcalling und bezeichnet eben jene verbalen Belästigungen in der Öffentlichkeit. Manchmal sei es auch rassistisch oder nonverbal, sagt Richter - Männer, die jungen Frauen in der Bahn ihre Geschlechtsteile präsentieren zum Beispiel. Betroffen seien vor allem junge Frauen, aber auch Homosexuelle oder Menschen mit Migrationsgeschichte.

Eigene Erfahrungen schon mit elf Jahren

„Chalk back“ nennt sich die Aktionsform, diese Geschichten mit Kreide am Ort des Geschehens auf den Boden zu schreiben, und sie hat ihren Ursprung in den USA. Richter ist dem Account der Bewegung schon ein paar Jahre auf Instagram gefolgt, nachdem sie angefangen hatte, sich mit Feminismus und Ungleichheit im Allgemeinen zu beschäftigen.

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Buchtipp

"Catcalls - auch Worte sind Belästigung"
Von Hannah Klümper
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„Ich fand die Aktionsform total cool, aber hab das nie auf mich bezogen", sagt sie. Bis sie eines Nachts auf dem Nachhauseweg von ihrem Nebenjob gewesen sei: „Ich bin hier in Hannover eine Straße runtergefahren und da stand dann eine Gruppe von Männern und hat mir erst hinterhergepfiffen und hat dann gesagt, ich soll stehenbleiben. Und es war einfach für mich in diesem Moment so eingreifend in meine Sphäre, weil ich bin nach Hause gefahren, es war dunkel, ich habe mich eh schon unsicher gefühlt. Und ich fand das in dem Moment echt irgendwie schrecklich.“

Im Nachhinein sei ihr eingefallen, dass das nicht das erste Mal gewesen sei: Mit 13 oder 14 habe ein Junge angedeutet, ihr in den Schritt zu greifen und gelacht, mit elf habe sie gehört, wie ein Mann zu ihrer Mutter gesagt habe: 'ey, schöne Tochter hast Du'.

Keine Komplimente

Solche Aussagen als  Komplimente abzutun, ist grundlegend falsch, meint Richter: „Ein Kompliment ist ja eigentlich so gedacht, dass das Gegenüber sich danach gut fühlt.“ Die Menschen, die Opfer von Catcalling werden, fühlten sich aber „in der Regel ängstlich oder schämen sich oder fühlen sich eklig“. Das schreiben ihr viele Betroffene, sagt sie.

Nach dem Erlebnis auf dem Nachhauseweg habe sie schließlich die Aktivistinnen in den USA angeschrieben und gefragt, ob sie das auch in ihrer Heimatstadt Hannover tun dürfe. Sie durfte - und begann erst mal damit, ihre eigenen Erlebnisse auf der Straße anzukreiden. Schon bald hätten sie aber immer mehr Leute angeschrieben und gesagt, wie dankbar sie dafür seien, was sie tue. Inzwischen betreibt Richter einen Instagram-Account mit über 18.000 Followern und dokumentiert dort auch Erlebnisse von anderen. Sie gibt Workshops zum Thema und hat den Verein "Chalk back Deutschland" mitgegründet.

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Der Verein "Chalk back"

„Chalk“ ist das englische Wort für Kreide. Mit Kreide kämpfen die Aktivistinnen und Aktivisten gegen verbale sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum, das sogenannte Catcalling. Die Organisation „Chalk back“ ist in 49 Ländern und 150 Städten aktiv. Alle Untergruppen haben Instagram-Accounts, auf denen die Kreide-Sprüche nachgelesen werden können. Lisanne Richter ist Vorstandsvorsitzende von "Chalk back Deutschland".

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Engagement in Schulen

„Mittlerweile schreiben uns so viele Menschen auf dem Account, dass sie durch uns erst gemerkt haben: Das, was ihnen passiert ist, ist Belästigung, und es gibt ein Wort dafür. Es scheint vielen so zu gehen, dass sie nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, weil es so plötzlich kommt, weil sie so jung sind, weil sie so überfordert sind“, sagt Richter.

Wenn sie in Schulen geht, spricht sie oft erst mal darüber, was eigentlich ein Kompliment ist und was nicht. Was geht und was übergriffig ist. „Das ist ja nicht nur wichtig für Catcalling, sondern allgemein für die Partnerschaftsethik.“ Sie wolle vermitteln, dass man einverstanden sein muss mit sexuellen Handlungen und Grenzen sichtbar machen sollte.

In anderen Ländern strafbar

Sie sei keine Männerhasserin, sagt Richter. Menschen sollten flirten und sich verlieben. Das Wesen eines Flirts sei aber, dass sich beide Beteiligten dabei wohlfühlten und einverstanden und glücklich damit seien. „Und ich glaube nicht, dass irgendeine Frau, der man zugerufen hat ‚hey, geiler Arsch‘, sich jemals umgedreht und gesagt hat: 'Ach wirklich? Das ist aber nett, dann können wir ja jetzt einen Kaffee trinken gehen.‘“

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„Das ist kein Witz und es ist auch nicht einfach nur flirten. Es ist wirklich eine Problematik, die Leute auch einschränkt in ihrem Alltag.“ Lisanne Richter Lisanne Richter
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Anders als in Frankreich, Belgien, Portugal oder den Niederlanden wird verbale sexuelle Belästigung in Deutschland nicht bestraft. Richter möchte mit ihren Aktionen aber auf einer anderen Ebene ansetzen: Sie will das Phänomen zunächst einmal sichtbar machen und die Problematik dahinter erklären. „Man muss wirklich gesellschaftlich klarmachen: Das ist kein Witz und es ist auch nicht einfach nur flirten. Es ist wirklich eine Problematik, die Leute auch einschränkt in ihrem Alltag.“

Wenn es dafür einen Straftatbestand brauche, dann solle das so sein, meint Richter. „Aber es wäre einfach schön, wenn wir gesellschaftlich sagen könnten: Das ist ein Verhalten, das wir nicht akzeptieren. Wenn ich das mitbekomme, schreite ich ein und bringe meinen Kindern bei, dass sie das nicht akzeptieren müssen - dass sie sich aber auch nicht so verhalten dürfen.“

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Das Interview führte Mariela Milkowa.

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