Matthias Jung

Wenn Sie für Ihre Kinder im Teenie-Alter die schlimmsten, nervigsten und peinlichsten Menschen der Welt sind, dann haben Sie alles richtig gemacht, sagt Matthias Jung. Denn Kinder in der Pubertät müssen sich abnabeln. Ein Gespräch über die wohl schwierigste Phase der Erziehung.

Im Zimmer herrscht Chaos, Frischluft ist böse und Mama und Papa sind sowieso die schlimmsten und peinlichsten Menschen der Welt. Kommt Ihnen bekannt vor? Dann hatten oder haben Sie vermutlich Kinder in der Pubertät. Und Matthias Jung könnte Ihnen helfen - und zeigen: Sie haben nicht versagt!

Denn der Diplom-Pädagoge, Autor und Familien- und Pubertäts-Coach weiß: Das ist alles völlig normal. Dass wir unseren Kindern peinlich werden, müsse sogar so sein, „weil der Job des Teenagers ist es in der Pubertät, sich abzunabeln, seinen eigenen Weg zu finden.“ Und da mache es nur Sinn, die Eltern doof zu finden, weil sonst bräuchte man sich ja nicht abnabeln und könne ewig zu Hause wohnen bleiben. „Und das will ja letztlich keiner", sagt Jung.

Nicht persönlich nehmen!

Bleibt gechillt, rät er Eltern in dieser Phase, und: nehmt es nicht persönlich! Das sei die große Kunst. Zu wissen: Das Kind tut jetzt, wo es ausrastet, sehr viel für sich, aber nichts gegen uns. Es versuche, seinen Standpunkt zu finden, eigene Entscheidungen zu treffen, es arbeite sich permanent an den Eltern ab und frage sich: Ist das jetzt cool, was der Papa gesagt hat oder doch nicht?

Manchmal kommen dabei krasse Sätze raus. „Mama, ich hasse Dich“ zum Beispiel. Und klar, es sei total schwer, das nicht persönlich zu nehmen, weiß Jung. „Aber wenn man das so ein wenig im Hinterkopf hat, was teilweise passiert – dass es eben entwicklungsbedingt notwendig ist, dass die diskutieren, aber auch die Hormone ihr Unwesen treiben -, ist das vielleicht manchmal eine Erklärung.“ Nicht immer eine Entschuldigung, meint Jung, aber vielleicht doch eine Beruhigung: „Da finden sich gerade ein paar Synapsen neu und mein Kind muss sich finden und muss das jetzt einfach gerade ausdiskutieren, weil das jetzt wichtig für sie oder ihn ist.“  

Es ist der Job der Eltern, alles falsch zu machen

Es ist Euer Job in dieser Phase, alles falsch zu machen, sagt Jung zu den Eltern in Seminaren oder seiner Facebook-Gruppe. Viele Eltern, die das merkwürdige Verhalten ihrer einst so liebenswürdigen Kleinen verunsichert, stellten sich und ihre Erziehung in Frage, sagt Jung. Zu hören, dass auch in anderen Familien Lüften Fehlanzeige und Türenknallen Alltag sei, beruhige sie.

„Ich sage den Eltern bei den Vorträgen immer: ‚Wenn Ihr für Eure Kinder die schlimmsten, nervigsten, peinlichsten Menschen der Welt seid, habt Ihr alles richtig gemacht.‘“ Und gerade wenn die Beziehung zu den Kindern in den ersten zehn Jahren sehr stabil und liebevoll gewesen sei, bräuchten Kinder besonders viel Rebellion, um sich von dieser Bindung befreien zu können. „Ich pubertiere nur, wenn ich mich wohlfühle“, sagt Jung - es könnte ein Mantra sein, das geplagte Eltern glücklich macht.  

Vorpubertät: kritisieren und kuscheln

Die ersten Vorboten des kindlichen Abnabelungsprozesses zeigen sich übrigens häufig schon mit acht, sagt Jung. Dann nämlich beginne die Vorpubertät, die etwa bis zum zwölften Jahr dauere. Gerade hat er ein Buch darüber geschrieben, „Erziehungsstatus kompliziert: Pubertät im Anmarsch“ heißt es. Es sei die Zeit, in der Kinder nachts noch kuscheln, tagsüber aber bereits diskutieren und kritisieren wollen. Körper und Mundwerk seien dann in unterschiedlichen Phasen: der erste noch Kind, das zweite pubertierend.

Und apropos Körper: Wenn Heranwachsende plötzlich mit jemandem in ihrem Zimmer verschwinden, sei das nicht gleich ein Grund zu Panik, sagt Jung. „Oft wollen die einfach nur gemeinsam Zeit verbringen. Wir denken da immer, es geht nur um das Eine, aber das Eine ist oft einfach zusammen chillen, zu netflixen und einfach Nähe zu haben.“ Auch die Statistik ist da auf der Seite der Eltern. Die sagt nämlich, dass Jugendliche ihr erstes Mal immer später haben. Wer mit 14 schon Sex hatte, gehört zur Ausnahme.

Pubertät als Chance

Also: entspannen, zurücklehnen und die Pubertät auch als Chance sehen, rät Jung. Eltern biete der sich lösende Nachwuchs nämlich auch die Möglichkeit, sich wieder mehr um sich selbst zu kümmern. Tanzen gehen statt Ratgeber lesen – das sei prinzipiell in Ordnung, auch wenn er selbst Ratgeber schreibe. Denn Eltern hätten nicht nur ein Bauch-, sondern auch ein Herzgefühl, weil sie ihre Kinder lieben, und das bringe sie dazu, sehr vieles richtig zu machen - "so 95 Prozent“, schätzt er. Und die restlichen fünf Prozent? Die könne man dann doch nochmal nachlesen, sagt der Autor und lächelt.

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Das Interview führte Susan Kades

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