Der Tag: Wenn der Groschen fällt: Wozu noch Bargeld?

Viele Menschen sind überrascht, wenn unser blinder Kollege bar zahlt und die korrekte Summe auf den Tisch legt. Doch das sei nicht das Schwierigste im Umgang mit Bargeld, sagt er. Was besonders ärgerlich ist, warum der Euro besser als die D-Mark ist und ob Geld wirklich stinkt: ein Erfahrungsbericht.

Mein erstes Taschengeld bekam ich Anfang der 90er. Fünf Mark die Woche. Ja, damals gab's noch die D-Mark. Mein Budget erhielt ich meist in zwei- und Eine-Mark-Stücken auf die Hand, manchmal waren auch 50 Pfennige dabei. Damit ich früh lernte, die verschiedenen Münzen auseinanderzuhalten.

Heute sind Sehende immer wieder verblüfft, wenn ich zum Beispiel beim Einkaufen oder im Restaurant bar zahle und die korrekte Summe in Scheinen oder Münzen abzähle. Dabei ist das Unterscheiden von Bargeld längst nicht das Schwierigste, womit ich als Blinder im Alltag konfrontiert bin.

Schon die Markstücke hatten verschiedene Größen und ihre Oberflächen fühlten sich unterschiedlich an. Eine blinde Freundin konnte sogar D-Mark-Münzen an ihrem Klang erkennen. Wenn jemandem Geld aus dem Portemonnaie fiel, rief sie immer gleich etwas wie: "Wem sind da grad 3,50 DM runtergefallen?"

Gleich große Banknoten: Eine Schnapsidee?

Die Scheine waren bereits zu D-Mark-Zeiten mit tastbaren Markierungen versehen, die sich allerdings schnell abgriffen. Zuverlässiger funktioniert das Erkennen von Scheinen mit dem sogenannten "Cashtest", einem Hilfsmittel für Blinde, das es auch heute noch gibt: Der Schein wird in eine aufklappbare Plastikkarte eingelegt und dann über die Kante geklappt. An einer Skala in Blindenschrift lässt sich dann durch die herunterragende Länge des Scheins dessen Wert ablesen.

Das hätte fast nicht mehr funktioniert, als der Euro kam. Irgendein falscher Fuffziger in Brüssel hatte nämlich die Schnapsidee, alle Euro-Banknoten sollten die gleiche Größe haben, so wie die verschiedenen Dollar-Scheine in den Vereinigten Staaten. Aus diesem Grund ließ sich übrigens die blinde Soul-Legende Ray Charles angeblich immer seine Gage in Ein-Dollar-Noten auszahlen. So konnte er sicher sein, nicht übers Ohr gehauen zu werden. Mit Euroscheinen in Einheitsgröße hätten blinde Menschen ein großes Stück finanzieller Selbstständigkeit eingebüßt.

Glücklicherweise ist der Euro dann doch nicht den Weg des Dollars gegangen. Im Gegenteil: Vor allem die Euromünzen finde ich persönlich noch leichter unterscheidbar als die guten alten Markstücke - dank ihrer Ränder. Das Zwei-Euro-Stück ist am Rand fein geriffelt, beim Ein-Euro ist die Riffelung unterbrochen; 20 Cent haben am Rand Kerben und so weiter ...

Vom Geruch des Geldes

Doch nicht jedem, der nichts sieht, fällt der Umgang mit Bargeld so leicht. Vor allem späterblindete und ältere Menschen brauchen oft lange, um sich daran zu gewöhnen, sich in ihrer Geldbörse rein tastend zurechtzufinden. Aber auch jüngere Blinde nutzen zunehmend elektronische Zahlungsmethoden. Schon deshalb, weil es für Blinde oft gar nicht so einfach ist, überhaupt an Bargeld zu kommen. Dazu braucht es erst einmal einen erreichbaren Bankautomaten, der für blinde Menschen bedienbar ist - etwa per Sprachausgabe.

Die gibt es längst nicht überall, und wenn es sie gibt, funktionieren sie gerne auch nicht. Bieten Bankautomaten diese Zugänglichkeit nicht, kann ein blinder Kunde dort ohne fremde Hilfe kein Bargeld ziehen. Und man hat eben nicht ständig eine sehende Person parat, die beim Bargeld abheben unterstützen kann - und ehrlich gesagt möchte man das auch nicht. Als selbstständiger, erwachsener (und eben auch blinder) Mensch kann ich erwarten, vollen Zugriff auf mein Geld zu haben, ohne fremde Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen. Deutlich einfacher sind da Zahlungssysteme wie Paypal oder Apple Pay. Die lassen sich über PC oder Smartphone inzwischen auch für blinde Nutzer komfortabel bedienen. Auch das Bezahlen per Karte ist mittlerweile um einiges barrierefreier geworden.

Trotzdem: Ich persönlich mag noch das Gefühl von Bargeld in der Hand, den Klang von Münzen und das Rascheln von Scheinen. Wobei: Auf den muffig-metallischen Geruch von Bargeld könnte ich persönlich verzichten.

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