Gregor Gysi (AFP)

Er gehört zu den bekanntesten Gesichtern aus dem deutschen Bundestag: Gregor Gysi belebt seit 30 Jahren den politischen Betrieb der Bundesrepublik. An diesem Montag wird er 75 Jahre alt. Wir haben mit ihm über sein Lebenswerk, die Zukunft und den Krieg in der Ukraine gesprochen.

Gregor Gysi ist eine der zentralen und prominentesten Persönlichkeiten der Linken. Jetzt, zu seinem 75. Geburtstag, ist die Partei gespaltener denn je. Sahra Wagenknecht, die zweite Galionsfigur der Linken, denkt gar darüber nach, eine eigene Partei zu gründen.

hr-iNFO: Herr Gysi, glauben Sie, dass die Spaltung der Linkspartei noch zu verhindern ist?  

Gysi: Ja klar glaube ich das, ich bin ja ein Zweckoptimist.

hr-iNFO: Sie haben die frühere SED in das Parteiensystem der Bundesrepublik geführt. Heute zerlegt die Linke sich selbst, die Umfragewerte sind mies, der Abschied aus dem Bundestag droht. Sehen Sie damit auch ein Lebenswerk von Ihnen in Gefahr?

Gysi: Nein, nicht wirklich. Mein Lebenswerk war ein anderes. Mein Lebenswerk war, die Interessen zu vertreten von denjenigen aus der DDR, die die Einheit nicht wollten, die Angst davor hatten, die wussten, dass aus ihnen nichts wird. Und dann von denjenigen, die dachten, dass aus ihnen was wird, aus denen aber nichts wurde. Die mussten ja auch einen Weg in die Einheit finden. Und gleichzeitig habe ich von ihnen aber auch verlangt, etwas selbstkritisch die eigene Biografie aufzuarbeiten. Also das war so eine Doppelstrategie und das ist mir, glaube ich, einigermaßen gelungen, sodass der Umgang zwischen Ostdeutschen und Westdeutschen doch besser geworden ist und sie sich irgendwie integriert haben bei allen Schwierigkeiten, die es nach wie vor gibt. Aber da ich die Spaltung nicht will, führe ich ja Gespräche mit Sahra Wagenkneckt und muss mal sehen, was wir in dieser Woche und in der nächsten vielleicht noch erreichen.

hr-iNFO: Was glauben Sie, wie sich der tiefe Riss kitten lässt, der durch die Linke geht?

Gysi: Naja, wissen Sie, man muss das Gemeinsame sehen, bevor man sich über das Trennende streitet. Außerdem darf meine Partei nicht so viel Selbstbeschäftigung machen, sondern sie muss in erster Linie Politik machen. Dann brauchen wir auch wieder, darum wird jetzt aber auch gerungen, ein Stück Ost-Identität zurück, um die Proteste, die es dort gibt, wieder bei uns zu sammeln. Nicht etwa, dass sie zur AfD gehen. Also es gibt eine ganze Menge. Und eine Partei in einer existenziellen Krise muss sich auf fünf Fragen konzentrieren. Sie kann kein Laden für die tausend kleinen Dinge sein. Fünf Fragen, das reicht.

hr-iNFO: Sprechen wir mal über eine Frage: den Ukraine-Krieg. Viele in Ihrer Partei vertreten ja die Position, man solle keine Waffen an das überfallene Land liefern und stattdessen lieber verhandeln. Wie sehen Sie das?

Gysi: Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich dagegen bin, dass Deutschland Waffen liefert. Das betrifft aber nicht Frankreich und andere Länder. Das hat damit zu tun, dass wir eine besondere Geschichte haben. Wir tragen nun mal die Verantwortung für den schlimmsten Krieg der Menschheitsgeschichte mit 50 Millionen Toten, nämlich den Zweiten Weltkrieg. Deshalb dürfen wir nicht mehr an Kriegen verdienen. Wir sind aber der fünftgrößte Waffenexporteur und verdienen an jedem Krieg. Egal, ob er in Mali, Jemen, Syrien oder sonstwo stattfindet. Und das finde ich falsch.

Die zweite Frage ist dann: Wie lange sollte man Waffen liefern und ab wann muss es unmittelbar einen Waffenstillstand geben? Und hier erleben Sie mal eine seltene Übereinstimmung zwischen dem Generalstabschef der US-Streitkräfte und mir, weil wir beide gesagt haben: Weder die Ukraine noch Russland können den Krieg gewinnen. Und wenn das stimmt, dann muss man jetzt Druck machen, dass es endlich zu einem Waffenstillstand und dann zu komplizierten Friedensverhandlungen unter Mitwirkung eines Dritten kommt. Und dann sind die Waffenlieferungen falsch, weil die dann nur dazu führen, dass der Krieg verlängert wird. Waffenstillstand. Und natürlich muss Russland aufhören zu schießen, die Ukraine dann auch. Und dann muss man alle Fragen klären. Wissen Sie, man kann über doppelte Staatsbürgerschaften, über alles Mögliche nachdenken. Und ich glaube, Österreich wäre ein ganz guter Vermittler.

hr-iNFO: Mit 75 sind Sie in einem Alter, in dem andere längst in Rente sind. Trotzdem haben Sie noch berufliche Ziele: Reizen würde Sie die Position des Bundestags-Alterspräsidenten. Wäre es nicht an der Zeit, Ihren Platz in der Politik für Jüngere freizumachen?

Gysi: Ja klar, aber ich bin ja auch dafür, dass Jüngere in den Bundestag kommen. Aber ich bin auch für Ältere. Also eigentlich sollte ja die Bevölkerungs so insgesamt repräsentiert sein. Ist sie aber nicht beruflich, weil sie finden kaum, sage ich mal, Medizinerinnen und Mediziner, Sie finden kaum Ingenieure, auch keine Unternehmer oder nur wenig Unternehmer, weil die immer Angst haben, dass ihr Unternehmen kaputtgeht. Nein, nein, ich bin für Alte und ich bin für Junge. Und den Jungen sage ich bloß immer: acht Jahre und dann ist gut, dann acht Jahre was ganz anderes machen. Und dann kann man wiederkommen. Wenn man das nicht macht, wenn man sozusagen mit 20 in den Bundestag einzieht bis zur Pension, dann verwechselt man irgendwann die Bundestagsdrucksachen mit dem Leben. Das ist schon schlimm. Dann verliert man die Beziehung zur Bevölkerung und zum Schluss sieht man aus wie eine Bundestagsdrucksache. Und das muss man unbedingt verhindern.

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Das Gespräch führte Gerd Kuhn.

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