Krankenschwester gibt kranker Seniorin im Bett eine Brille

Rund jeder sechste Krankenhaus-Patient in Deutschland leidet unter Demenz oder demenzähnlichen Symptomen. Eine angemessene Betreuung ist im Klinikalltag aber oft nicht möglich. Das Frankfurter Markus-Krankenhaus hat auf dieses Problem reagiert.

Deutschland wird immer älter. Die Folge: Auch die Patienten in deutschen Krankenhäusern werden immer älter. Und immer häufiger werden in deutschen Klinken Männer und Frauen mit Herzproblemen oder Beinbrüchen behandelt, die entweder dement sind oder zumindest demenzähnliche Symptome aufweisen. Schon heute ist rund jeder vierte Klinikpatient älter als 80 Jahre. Täglich werden in Deutschland nach einer Studie der Robert Bosch Stiftung knapp 50.000 Personen mit Demenz oder demenzartigen Symptomen versorgt. Das Problem: Viele Klinken sind auf diese Patientengruppe nicht gut eingerichtet. Welche Folgen das haben kann, haben Betroffene dem hr im Rahmen einer Recherche berichtet.   

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Klinikprojekt hat Demenzpatienten im Blick

Pflegerin an Patientenbett
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Katja K. ist immer noch wütend, wenn sie an den Klinikaufenthalt ihrer Mutter im Sommer 2021 denkt. Wegen eines Oberschenkelhalsbruches kam die 78-jährige, demente Frau ins Krankenhaus. "In den Tagen, in denen sie im Krankenhaus war, ist sie von einer ganz agilen Person in ein absolutes Häufchen Elend verwandelt innerhalb weniger Tage." Katja K.s Vorwurf: Die Klinik habe sich um ihre demente Mutter nicht angemessen gekümmert. Niemand habe darauf geachtet, dass die alte und verwirrte Frau, die außerdem Schwierigkeiten beim Sprechen hat, ausreichend isst und trinkt. Als auch ihre ständigen Hinweise an das Pflegepersonal ohne Wirkung blieben, habe sie sich immer mehr Sorgen gemacht, erinnert sich Katja K. an ihre Gefühle: "Ich muss irgendwas tun, ich muss da rein, um ihr beim Essen zu helfen, ich muss da sein, damit sie was trinkt. Ich muss da sein, damit sie sich beruhigt, wohlfühlt und mitmacht bei den Dingen, die sie machen muss."

Krankenhausaufenthalt große Belastung für demente Patienten

Ein Problem waren die damaligen Corona-Regeln. Die erlaubten nur eine Stunde Besuchszeit. Katja K. sei dann einfach eigenmächtig immer so lange geblieben, bis sie jemand erwischt habe - was teilweise Stunden gedauert habe. Immerhin habe sie so ihrer Mutter helfen können. Katja K. bitteres Fazit. "Das System passt da irgendwie nicht und wenn es demente Menschen gibt, dann muss man damit anders umgehen als mit anderen Patienten."

Die betroffene Klinik antwortet auf Anfrage des hr, dass man "kein Fehlverhalten erkennen" könne. Allerdings schreibt die Klinik auch: "Für an Demenz erkrankte Patientinnen und Patienten stellt ein Krankenhausaufenthalt aufgrund der fremden Umgebung, der vielen unbekannten Menschen und den getakteten Tagesabläufen eine große Belastung dar."

Diese Einschätzung teilt auch Dr. Sabine Kirchen-Peters. Sie arbeitet am Institut für Sozialwirtschaft und Sozialforschung in Saarbücken zum Thema Demenz. In Krankenhäusern gehe es um schnelles und wirtschaftliches Behandeln. Dazu müssen sich die Patientinnen und Patienten in den Apparat eingliedern. Das aber funktioniere nicht bei "kognitiv eingeschränkten" Patienten, so der Fachbegriff: "Die können sich den Prozeduren nicht anpassen, die brauchen auch einfach schon mal mehr Zeit. Und deshalb kommt dieses ganze Gefüge ins Wanken und es kommt Sand ins Getriebe." Patienten verstehen die Ärzte nicht, die unbekannte Umgebung macht ihnen Angst, sie hören auf zu essen und zu trinken. Im schlimmsten Fall verlieren sie jede Orientierung, sind nicht mehr ansprechbar, sogar das Sterberisiko steige, so die Studie der Robert Bosch Stiftung.

Zusätzlicher Stress für überlastete Pflegekräfte

Auf der anderen Seite sind die Pflegekräfte ohnehin häufig schon überlastet, jetzt noch zusätzlich unter Stress, sagt Marcus Jogerst-Ratzka, Bundesvorsitzender der Pflegegewerkschaft Bochumer Bund: "Die Pflegefachpersonen haben den Anspruch, den Menschen gerecht zu werden, sehen aber, dass das hinten und vorne nicht reicht - und müssen Prioritäten setzen. Und bei dieser Priorität kommt der Mensch mit Demenz einfach nicht vor. Dann klingelt schon wieder ein Telefon oder ein Piepser, ich muss ins nächste Zimmer. Für die Kollegen und Kolleginnen ist das unglaublich belastend."

Immerhin denken immer mehr Kliniken um. "Demenzsensibilität" heißt das Stichwort. Die Idee: gefährdete Patienten besser betreuen. Zum Wohle der Betroffenen und der Klinik. Denn es ist absehbar, dass die Zahl der alten und dementen Krankenhaus-Patienten in Zukunft steigen wird.

Kognitions-Team am Markus-Krankenhaus hilft

Ein Beispiel dafür sind die Agaplesion Diakonie Kliniken in Frankfurt, zu denen auch das Markus-Krankenhaus gehört. Seit drei Jahren kümmert sich hier ein spezielles Betreuungs-Team unter der Bezeichnung "Kognitions-Team" um demente oder verwirrte Patienten. Die Aufgabe: Patienten, die eine besondere Betreuung benötigen, identifizieren und dann in Absprache mit dem Pflegepersonal und den behandelnden Ärzten eine gute und angemessene Versorgung gewährleisten. Pflegerin Sabine Herler ist seit Beginn des Projekts Mitglied des Teams. Sie beschreibt dessen Aufgabe so: "Wir besprechen uns, was machen wir mit dem Patienten und geben diese Informationen an die Kollegen auf den Stationen weiter. Wir sind sozusagen die Multiplikatoren."

Am Anfang steht aber immer ein Patientengespräch, bei dem man herausfinden will, ob ein Patient dem Klinikalltag gewachsen ist oder ob er Hilfe benötigt. Ist das der Fall, erhält der Patient unter anderem ein rotes Armbändchen. An diesem Bändchen erkennt das Pflegepersonal, dass dieser Patient besondere Unterstützung braucht, zum Beispiel beim Essen. Das Band signalisiert aber auch Ärzten, dass bei Untersuchungen lange Wartezeiten vermieden werden sollten. Sonst stehen verwirrte Patienten einfach auf, laufen weg und müssen gesucht werden.

Dr. Rupert Püllen ist Leiter des Projekts "Demenzsensibles Krankenhaus". Er sagt ganz offen: Ein Klinikaufenthalt sei nicht nur eine große Belastung für die verwirrten Patienten. Die Patienten seien auch eine Belastung für die Klinik. "Um es ganz prägnant zu sagen: Sie stören vielfach. Sie passen nicht in den Krankenhausalltag. Da geht es oft um Effizienz. Dinge müssen schnell gemacht werden und demente oder kognitiv beeinträchtige Menschen fallen aus diesem Rahmen heraus. Das heißt, sie sind problematisch, sie sind schwierig im Krankenhaus."

"Eine klassische Win-Win-Situation"

Der demenzsensible Ansatz in den Agaplesion Frankfurt Diakonie Kliniken verfolgt deshalb zwei Ziele: Auf Seiten der Patienten soll vermieden werden, dass sich eine Demenz oder Desorientierung verschlechtert, dass die Patienten im Extremfall sogar panisch reagieren und sich verletzen, und dass sich die Behandlungszeit nicht in unnötig in die Länge zieht. Andererseits soll der Klinikalltag möglichst wenig gestört werden.

Trotz des Personalaufwandes für das Betreuungsteam spare die Klinik am Ende sogar Geld, ist sich Projektleiter Püllen sicher: "So dass es eine klassische Win-Win Situation ist, dem Patienten geht es besser und das Krankenhaus hat geringere Ausgaben auf die lange Sicht."

Und dann sind da noch die Angehörigen wie Barbara Ackermann. Ihr Mann ist vor wenigen Tagen ins Markus-Krankenhaus gekommen. Nach einer schweren Bronchitis hat der 87-Jährige körperlich ziemlich abgebaut, zuletzt hat er immer wieder auch Anzeichen einer akuten Verwirrtheit gezeigt. Barbara Ackermann versucht so oft wie möglich, bei ihrem Mann in der Klinik zu sein. Gleichzeitig steht sie aber auch in engem Kontakt zum Kognitions-Team um Sabiner Herler. Vorher habe sie das Konzept "demenzsensibles Krankenhaus" gar nicht gekannt, erzählt Ackermann. Jetzt aber sei sie ziemlich begeistert: "Ich finde das eine sehr, sehr gute Sache. Weil viele Angehörige werden da ja ziemlich alleine gelassen. Und es ist ja auch eine seelische Belastung."

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