Ein Mann und ein Kind betteln in Kabul

Heute vor einem Jahr marschierten die Taliban in Kabul ein. Die afghanischen Streitkräfte ergaben sich schnell. Es folgte der überstürzte Abzug der Bundeswehr. In Hessen verfolgten viele Menschen, die aus Afghanistan stammen, die Entwicklung entsetzt. Manche versuchten zu helfen, andere versuchen ihre Angehörigen nach Deutschland zu holen. Das ist keine einfache Aufgabe.

Jassa, der in einem kleinen afghanischen Restaurant an der Schuhmacherstraße in Kassel in einem Separee, dass normalerweise Familien vorbehalten ist, sitzt, ist die Trauer um seine Familie deutlich anzumerken. Er möchte nicht, dass man ihn dabei beobachtet, wie er in ein Mikrofon spricht: "Meine zwei Geschwister und meine Mutter leben noch da“, erzählt er.

Vor sieben Jahren ist er nach Deutschland geflüchtet. Seitdem lebt er in Kassel - geduldet. Jedes halbe Jahr muss er zur Behörde, um seinen weiteren Aufenthalt zu beantragen.

Mohamad arbeitet regulär bei seinem Onkel als Koch. Er würde gerne eine richtige Ausbildung machen, aber das geht nicht, weil die Papiere fehlen.

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„Als Frau hat man dort keine Freiheiten. Und es ist schwer, als Frau mit zwei Kindern dort allein zu leben.“
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Er würde auch gerne seine Mutter aus Afghanistan nachholen, aber auch das geht nicht, weil die Papiere fehlen. Er ist verzweifelt: "Ich habe meine Mutter schon seit sieben Jahren nicht gesehen. Ich will gerne dahin gehen, aber das ist schwer, wegen der Taliban und so.“ Er telefoniert oft mit seinen Schwestern und vertröstet sie immer wieder. Er weiß genau, was die Frauen durchmachen müssen: "Als Frau hat man dort keine Freiheiten. Und es ist schwer, als Frau mit zwei Kindern dort allein zu leben.“ Damit es etwas leichter wird, schickt er Geld - die Hälfe seines nicht sehr üppigen Verdienstes als Kellner.

Eine Ausreise ist gefährlich

Mohamed kommt an den Tisch. Es wird Ayra getrunken, ein erfrischendes Joghurtgetränk. Auch bei ihm spürt man sofort, die Gedanken um seine Heimat bewegen den jungen Mann Tag ein Tag aus: "Wir mussten flüchten, weil Krieg ist. Ich denke an meine Familie.“

Najib - auch er ist geduldeter Flüchtling aus Kabul - erinnert sich noch sehr gut daran, wie es seinem Onkel ergangen ist, als der versucht hat, vor einigen Monaten die Ausreisepapiere für seine Frau zu beantragen: "Sie haben ihn gefragt: ‚Warum willst du in eine andere Heimat gehen?‘ Die machen daraus ein richtiges Problem. Sie haben ihn in den Knast gebracht. Er war richtig kaputt.“ Er hat der Bundeswahr bei ihrem Einsatz geholfen, auf eine bessere Zukunft gehofft. Nun ist er auf einer der schwarzen Listen der Taliban gelandet.

Die Politik muss mehr tun

Drei Schicksale, stellvertretend für viele. Timmo Scherenberg ist Geschäftsführer des Hessischen Flüchtlingsrates und er kennt viele dieser Erlebnisse.

Oft kommt es ihm vor, als würde er gegen Windmühlen der deutschen Bürokratie kämpfen: "Diese Leute nicht im Stich zu lassen ist das Gebot der Stunde und diesbezüglich brauchen wir ganz dringend ein neues Aufnahmeprogramm."

Aufgeben allerdings ist für ihn, so wie auch für Najib, Nassa und Mohamed keine Option. Er stellt klare Forderungen an die Politik: "Wir brauchen eine drastische Aufstockung des Botschaftspersonals in den Botschaften rings um Afghanistan, damit der Antrag der Leute, die hier nach Deutschland kommen können, auch schnell bearbeitet werden kann. Wir brauchen zweitens ein neues Bundesaufnahmeprogramm für gefährdete Personen. Und wir brauchen drittens ein Landesaufnahmeprogramm für die in Hessen lebenden Menschen, damit die ihre Angehörigen in Sicherheit bringen können.“

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