Auf einem Tisch im Fridericianum liegt eine Broschüre, die von der Initiative «Archives des luttes des femmes en Algérie» im Rahmen der documenta fifteen ausgestellt ist und weitere als antisemitisch kritisierte Motive enthält.

Abermals sind auf der Documenta antisemitische Kunstwerke aufgetaucht. Unser Kommentator ist empört, aber findet: Die Documenta zu schließen, wäre keine Lösung. Aber nach all der Diskussion in der Vergangenheit wäre es angebracht, ein antisemitisches Screening durchzuführen.

Es ist unfassbar. Die neue Documenta-Geschäftsführung macht genau dort weiter, wo ihre Vorgängerin aufgehört hat: Vertuschen, Kleinreden, Verantwortung abschieben. Es ist nachvollziehbar, wenn nun gefordert wird, die Documenta zu schließen. Es kann nicht angehen, die antisemitischen Auswüchse immer weiter kleinzureden und mit dem Verweis auf die Sichtweise des „globalen Südens“ zu verharmlosen.

Antisemtische Kunst hat gefährliche Folgen

Denn genau darin liegt das Problem: In diesen Ländern ist es allzu oft gesellschaftsfähig, das Zerrbild des „raffgierigen Juden“ zu zeichnen, wenn über Auswüchse des Kapitalismus diskutiert wird. Dort hat sich die Diskussion um die Besatzungspolitik Israels häufig von der praktischen Politik gelöst. Stattdessen wird „den Juden“ vorgeworfen, Gewalt und Brutalität liege in ihrer Natur.

Die Tatsache, dass in großen Teilen der Welt antisemitische Stereotype akzeptiert sind, ist kein Problem der Kontextualisierung. Es ist ganz schlicht ein Übel, das bekämpft werden muss.

Zitat
„„Für Nichtjuden geht es bei Antisemitismus um Moral, für Juden um Überleben.““
Zitat Ende

Denn dieser politische Antisemitismus hat ganz konkrete Folgen in der physischen Bedrohung von Menschen jüdischen Glaubens weltweit. Die Autorin Nele Pollatschek hat es vor einigen Wochen sehr zutreffend zusammengefasst: „Für Nichtjuden geht es bei Antisemitismus um Moral, für Juden um Überleben.“

Eine Debatte muss angestoßen werden

Soll die Documenta jetzt also wirklich geschlossen werden? Nein, das würde am Ende wenig bringen. Der Antisemitismus wäre damit ja nicht aus der Welt. Jetzt muss die Documenta-Leitung dafür sorgen, dass alle – wirklich alle – Kunstwerke angeschaut werden. Und dann muss ganz offensiv eine Debatte geführt werden über die Ursachen und die Auswirkungen der Judenfeindlichkeit. Kunst muss anstößig sein. Sie muss Debatten auslösen.

Es muss aber auch allen Künstlerinnen und Künstlern klar sein, dass menschenverachtende Kunst Folgen hat. Im Fall von Antisemitismus mörderische Folgen.

Es reicht nicht aus, so zu tun, als würde es sich beim antisemitischen Blick aus dem globalen Süden um landestypische Folklore handeln, auf die wir in Europa übersensibel reagieren. Doch dazu müsste die documenta erst einmal eingestehen, dass sie ein Problem hat. Und zwar ein gewaltiges. Diese Einsicht scheint bei den Verantwortlichen allerdings noch immer nicht angekommen zu sein.

Weitere Informationen

Der Kommentar spiegelt die Meinung des Autors und nicht die der Redaktion wider.

Ende der weiteren Informationen
Weitere Informationen Ende der weiteren Informationen