Luftaufnahme Open Flair Eschwege - Bühne - davor eine riesige Menschenmasse

Nach zahlreichen Corona-Lockdowns läuft in diesem Jahr der erste Festival-Sommer wieder im Regelbetrieb - zumindest fast. Die Nachwirkungen von Corona sind bei vielen nach wie vor zu spüren. In einem Fall musste ein Betreiber sein Festival sogar einstellen.  

"Die Pandemie hat uns das Genick gebrochen", sagt Michael Döring. Es wäre sein 14. Festival gewesen in diesem Jahr. Statt zu feiern, musste Döring, einer von sieben Gesellschaftern des Rockfestivals „Rock am Stück“ in Fritzlar, jetzt Insolvenz anmelden. "Es fühlt sich an, als würde das eigene Kind sterben. Das ist ein blöder Vergleich. Aber 'Rock am Stück' ist ja auch unser Baby", sagt Döring.

Dass es so weit kommen würde, sei schon früh abzusehen gewesen: "Der reine Ticketvorverkauf fürs diesjährige Festival, den wir letztes Jahr im Oktober neu gestartet haben, war deutlich zu schwach. Das waren lediglich 400 Tickets." Pro Woche hätten sie 100 Tickets verkaufen müssen. Das meiste, was sie geschafft haben, waren elf. Das zeige, "wo die Reise hingeht. Das war heftig", so Döring.

Viele lösen Tickets aus 2019 ein

Viel zu schlapper Kartenvorverkauf und dann ist auch noch alles teurer geworden. Die Preise seien explodiert, erzählt Döring, teilweise habe es bis zu 300 Prozent Preissteigerungen gegeben: "Ob das die Bühne ist, die von 70.000 auf 100.000 hochgegangen ist, ob das die Toiletten waren, die sich mehr als verdoppelt haben ...". Dazu kommen jetzt noch Forderungen für Ticketerstattungen im fünfstelligen Bereich. Für Michael Döring gibt es in diesem Jahr kein Festival „Rock am Stück“ mehr. Alles abgesagt.  

Die Festival- und Konzertbranche in Hessen kämpft mit den kulturellen Auswirkungen der Corona-Pandemie. 2022 ist das Konzert- und Festivaljahr, in dem 2019 nachgeholt wird. Denn die meisten Konzertbesucher:innen lösen erst jetzt ihre Tickets aus 2019 ein. Die Folge: kaum neuer Ticketverkauf in diesem Jahr – keine neuen Einnahmen.  

Open Flair Community hilft

Auch Alexander Feiertag, Geschäftsführer des sehr populären „Open Flair-Festivals“ steht vor diesem Problem. Aber sein Festival ist schon lange komplett ausverkauft. Gut für ihn. "Wir haben so gut wie alle Karten tatsächlich bis Weihnachten 2019 - also nach dem letzten richtigen Festival - verkauft", sagt er.

20.000 Besucher:innen erwartet Feiertag in diesem Sommer beim „Open Flair Festival“ in Eschwege. Nur 1000 Tickets hat er 2022 verkauft. Er muss also mit einer Kalkulation von 2019 sein Festival 2022 finanzieren. Doch weil die Community und das Open-Flair-Netzwerk so stark sind, kann er einiges an kostenintensiven Leistungen, wie zum Beispiel den Sicherheitsdienst, mit Ehrenamtlichen bestreiten.  

"Es gibt tatsächlich so eine Open Flair Community. Das heißt, Menschen, die jedes Jahr nach Eschwege kommen, weil sie dieses Festival einmal so erlebt haben, einmal besucht haben, schätzen gelernt haben und dann immer wieder kommen", erzählt Feiertag. 

Wer sich über Jahre eine loyale Community aufgebaut hat, dessen Festival scheint viel sicherer zu sein. Im Gegensatz zu Theater- und Opernhäusern haben saisonale Festivals zwar selten ein Abo-gebundenes Stammpublikum, dafür aber eine loyale, gut vernetzte Community.  In konservativen Kreisen auch gerne „Freunde und Förderer“ genannt – wie etwa beim Rheingau Musikfestival.

Spendables Publikum beim Rheingau Musikfestival

"Das Publikum hat 2020 einen Großteil des Kartenpreise nicht zurückerstattet haben wollen", sagt Caroline Lazarou vom Rheingau Musikfestival. "Das war großartig, das war sozusagen eine Spende an uns. Und das hat uns zusätzlich mit der staatlichen Unterstützung gerettet - 2020 konnten wir auf die Art und Weise überleben." Das Rheingau Musikfestival hat also nicht den Kartenrückstau aus 2019. Vor allem aber hat es Freunde und Förderer, die sehr solvent sind.  

Etwa 5.000 Mitglieder hat dieser Verein. Und der sorgt vor allem für eine hohe Auslastung des Rheingau Musikfestivals. Die liegt jetzt schon für 2022 bei 88 Prozent, auch weil der Förderverein viele Karten kauft. "Für dieses Jahr habe ich noch keine konkrete Zahlen, aber für die Jahre davor kann man sagen, dass ein Mitglied circa zwölf Karten gekauft hat", sagt Lazarou.

Menschen halten ihr Geld zusammen

Davon können andere Konzertveranstalter nur träumen. Uwe Vater, Geschäftsführer von MM Konzerte in Kassel, hatte in den vergangen zwei Jahren 140 Konzerte geplant. Nur große Namen wie zum Beispiel Roland Kaiser und Mark Forster. Verkauft und veranstaltet hat er bislang 14. Auch Uwe Vater hat mit dem Kartenrückstau der letzten Jahre zu tun. Neue Tickets verkauft er viel weniger. Die Menschen halten das Geld zusammen: der Ukraine-Krieg, erhöhte Gaspreise, Inflation. Und zudem gebe es ein so großes Überangebot an Konzerten, dass man derzeit sogar richtig Mühe habe, die Karten in der allerobersten Liga wie für die Rolling Stones zu verkaufen.  

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