Mann sitzt in einem Büro

Acht Stunden Arbeit am Tag ist in den meisten Ländern Standard. Auch in Griechenland. Ein Unternehmen aus Athen beschreitet nun neue Wege und hat für seine Mitarbeitenden den Sechs-Stunden-Tag eingeführt – bei gleicher Bezahlung. Kann das funktionieren? 

Wer in die Räume der "KRS"-Steuerberatung in einem Geschäftsgebäude unweit der Akropolis kommt, wird von sachlicher Nüchternheit empfangen. Und von einer hochkonzentrierten Arbeitsatmosphäre. Rund 15 überwiegend junge Mitarbeitende sitzen in einem Großraumbüro an ihren Schreibtischen, prüfen Belege, sprechen wenn dann nur im Flüsterton. An den Wänden stehen Schlagworte wie "Don't trust, verify". Oder: "Unsere Werte: Vertrauen, Innovation".

Der Geschäftsführer empfängt uns: Konstantinos Raikos, Mitte 30. Er ist der erste Unternehmer in Griechenland, der für seine Mitarbeitenden eine 30-Stunden-Woche eingeführt hat. Oder anders ausgedrückt: Sechs Stunden am Tag, nicht mehr acht wie früher. "Die große Veränderung ist vor sechs Jahren gekommen", sagt er. "Ich war an Krebs erkrankt. Und ich bin zu der Überzeugung gelangt: Es muss auch mit weniger Arbeit gehen. Dafür besser organisiert und mithilfe der richtigen Technologie."

"Nine-to-five steckt tief in uns drin"

Konkret geht es um eine App, die Raikos und sein Unternehmen für ihre Kunden eingeführt haben. Sie hilft, viele Fragen rund um die Steuerberatung einfacher zu beantworten. Vorher dagegen kam alles ungefiltert bei den Mitarbeitenden an. Die können sich jetzt auf die wirklich wichtigen Inhalte konzentrieren.

Diese Umstellung hat es ermöglicht, die Arbeitszeit zu verkürzen. Seit einem Jahr läuft nun das Projekt. Die erste Arbeitsschicht geht von acht bis 14 Uhr, dann kommen die nächsten Mitarbeiter und bleiben bis 20 Uhr. Was nach einer simplen Umstellung klingt, war allerdings alles andere als leicht umzusetzen, sagt Raikos. Mehrere Mitarbeiter haben sogar gekündigt. "Am Anfang fühlt man einen komischen Druck mit diesem Sechs-Stunden-Tag. Weil das 'Nine-to-Five', also acht Stunden, so tief in uns drinsteckt. Es ist sehr schwer, diese Überzeugung zu verändern. Es fühlt sich erstmal nicht gut an."

Gesteigerte Produktivität, motiviertere Mitarbeiter

Dabei zeigen verschiedene Studien, dass Arbeitnehmer zufriedener und motivierter sind, wenn sie weniger arbeiten. Eine aktuelle Umfrage unter rund 3.000 Beschäftigten in Großbritannien kommt zu dem Schluss: Nur 80 Prozent der bisherigen Zeit zu arbeiten, bei gleichem Lohn, senkt das Risiko für Stress und Burnout. Die Befragten hatten weniger Schlafprobleme und waren fitter. Dabei muss die Produktivität nicht einmal sinken, im Gegenteil: Toyota hat das im schwedischen Göteborg demonstriert. Sechs statt acht Stunden täglich, trotzdem konnte der Umsatz gesteigert werden. 

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„Wir haben mehr Zeit für uns selbst, für unsere Familien, für das persönliche Leben, für Hobbys.“ Anastasía Gavrielatou Anastasía Gavrielatou
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Auch Konstantinos Raikos konnte die Produktivität in seiner Steuerkanzlei steigern. Durch den Schichtbetrieb spart er sich Büroplätze. Und Mitarbeitende wie Anastasía Gavrielatou berichten: Sie sind in der kürzeren Arbeitszeit umso konzentrierter. "Es hat eine Weile gedauert, aber ich glaube, wir haben uns jetzt daran angepasst", sagt sie. "Wir haben mehr Zeit für uns selbst, für unsere Familien, für das persönliche Leben, für Hobbys, für alles Mögliche." Gerade Frauen gibt der Sechs-Stunden-Tag mehr Chancen zur Gleichberechtigung, sagen Befürworter: Sie können sich um die Familie kümmern. Und trotzdem einen Beruf ausüben, der sonst Männern vorbehalten wäre. 

Nicht auf alle Bereiche anwendbar

Giorgos Thanopoulos vom Institut für kleine und mittelständische Unternehmen glaubt aber: Das Modell ist nicht auf alle Bereiche anwendbar. "Ich kann mir nicht vorstellen, wie das in einem Handwerksbetrieb oder in der Gastronomie umgesetzt werden könnte, wo man nicht genau weiß, wann der Kunde in den Laden kommt", so Thanopoulos. Es hänge auch von der Größe der Firma ab, meint er. In Griechenland bestünden drei Viertel der Unternehmen nur aus ein bis zwei Arbeitnehmern. Hier könne er sich kaum eine andere Regelung der Arbeitszeit vorstellen. Nach der Finanzkrise habe sich die Situation in Griechenland zwar langsam gebessert, sagt Thanopoulos. Aber viele Unternehmen könnten sich einen Sechs-Stunden-Tag nicht leisten. 

Selbst in Deutschland wäre die Frage: Wie ließen sich kürzere Schichten finanzieren? Etwa in Krankenhäusern oder in der Pflege? Manche argumentieren: Es gäbe gar nicht genügend qualifizierte Arbeitskräfte, um den Bedarf zu decken. Andererseits: Der Beruf würde für viele deutlich attraktiver werden. Das erleben auch die Mitarbeitenden in Athen, wie Christina Bougioukou. Von Freunden ernten sie neidvolle Blicke:  "Alle wollen das auch. Und es kommt immer wieder die Frage: Sucht ihr vielleicht nach Mitarbeitern?"

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