Kasseler Nordstadt

Kassels Nordstadt gilt als Problembezirk, der tief gespalten ist und über den viele Vorurteile kursieren. Wie kann man dem entgegenwirken und wieder sowas wie Gemeinschaft herstellen? Der Verein "Streetbolzer" versucht es mit Straßenfußball.

Mittwochnachmittag, Training bei den Streetbolzern in der Nordstadt in Kassel. Kinder und Jugendliche aus dem Stadtteil treffen sich regelmäßig hier zum Kicken. Junge Menschen mit unterschiedlicher Religion, Herkunft und Hautfarbe  - sie alle können sich hier begegnen und vernetzen, so die Grundidee von Trainer Mustafa Gündar. "Viele, viele Kulturen und Probleme natürlich, aber aus diesen Problemen ergibt sich manchmal so eine Art Wunder, so schöne Sachen ergeben sich da."

Die Streetbolzer sind kein gewöhnlicher Fußballverein. Es geht bei ihnen um Sport, aber auch um viel mehr: um Zusammenhalt und den Abbau von Vorurteilen. "Da wo viele Nationen sind, gibt es auch ein bißchen mehr Reibung. Das war einer der Gründe für uns zu sagen, man kann diese Reibung durch den Straßenfußball behandeln."

Sozialer Brennpunkt in Campus-Nähe

Kassel-Nordstadt, der Bezirk mit der höchsten Einwohnerdichte und dem größten Ausländeranteil, gilt seit Jahren als Problemviertel der Documenta-Stadt. Armut, Arbeitslosigkeit, Kriminalität - ein sozialer Brennpunkt. "Natürlich kracht das hier mehr, ist es lauter als woanders, aber dafür ist es teilweise authentischer und schöner", sagt Gündar.

Auch wenn sich rund um den Unicampus inzwischen eine Art studentisches Szeneviertel entwickelt hat - viele Menschen fühlen sich in der Nordstadt nach wie vor abgehängt, sagt auch Umut Kaban. Für die Stadt Kassel berät er Menschen, die Probleme bei der Wohnungs- und Jobsuche haben. "Da hat man die Studenten, die Spaß haben möchten, die einen superschönen Park haben, wo sie sich ausruhen - und wenn man zwei Straßen weiter zur Nordstadt kommt, da kommen die ernsthaften Probleme."   

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"Wie ein Horrorfilm"

Umut Kaban ist selbst in der Nordstadt aufgewachsen. Er hat es rausgeschafft. "Ich hab dann im Nachhinein mein Abitur gemacht, hab dann studiert. Ich seh manchmal meine alten Freunde, die es halt nicht geschafft haben." Ein Weg, auf dem Umut Kaban immer wieder abgestempelt wurde - einmal Nordstadt, immer Nordstadt. "Ich wurde direkt mit Vorurteilen konfrontiert: 'Das ist ein Schlägertyp'. Man hört wirklich Beleidigungen, es war wirklich wie so ein Horrorfilm."

Um gegen solche Vorurteile anzukämpfen, braucht es für Umut Kaban genau solche Projekte wie die Streetbolzer. Kaban erinnert sich nämlich noch gut, wie viel positive Energie das Fußballspielen bei ihm freisetzte, in seiner Jugend. "Es ist ganz wichtig, dass die hier ihren Platz haben, dass die jemanden hier haben, dass jemand sagt: 'Komm her, wir sind immer für dich da, egal wann.' Das macht mich echt glücklich, dass ich so viele Jugendliche Sport machen sehe."

Mehr als nur Fussballbetreuer

Längst sind die Mitarbeiter der Streetbolzer viel mehr als nur die Fußballbetreuer der Kinder. Sie helfen auch bei Hausaufgaben und kochen gemeinsam. "Für die meisten ist's schön, gemeinsam was zu machen, aber es gibt auch viele Kinder, die wirklich Hunger haben. Meine Einschätzung ist, dass einige auch wirklich arm sind." Die Streetbolzer bieten Ferienworkshops, Kunstprojekte - und organisieren natürlich Fußballturniere. Dabei zählen nicht nur Tore. Es gibt auch Punkte für Fairplay auf dem Platz.

"Man kann sportlich gewinnen, aber bei unfair im Endergebnis kannst du trotzdem verlieren. Das heißt: Gewichtung ganz groß auf Fairplay." Auch die Jugendlichen bringen Vorurteile mit. Im Streetbolzerhaus fallen manchmal rassistische Beleidigungen. Aber immer wieder auch Sätze wie: "Jetzt ist er mein Freund geworden."

Die Arbeit der Streetbolzer zeigt: Manchmal reicht schon ein Fußballplatz, um die Welt zu verändern - oder zumindest einen Stadtteil wie Kassels Nordstadt. "Der Stadtteil ist hart. Der ist schon grob, und wenn man das Schöne da rausholt, wie eine Blume in Beton oder was, dann ist es schön", sagt Umut Kaban.

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