Münzen im Wert von fünf Euro werden über ein rotes Portemonnaie gehalten

Die aktuelle wirtschaftliche Krise belastet in Deutschland vor allem diejenigen, die sowieso schon nicht viel haben. Doch erste Experten warnen auch: Bald könnte diese Krise die Mittelschicht erreichen. Wie wahrscheinlich ist das?

Die Schlagzeilen klingen ernst. "Der Abstieg der Mittelschicht – Panik in der Mitte" titelt die Wirtschaftswoche. Die Lage für den anteilsmäßig größten Teil der Bevölkerung – die Mittelschicht – scheint sich durch die aktuelle Krisenlage zu verschlimmern. "Aus meiner Sicht absolut", sagt Yasmin Alenaghi, Landesgeschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverband Hessen. "Die Armutsschwelle sinkt und betrifft immer mehr Einkommen, immer mehr mittlere Einkommen. Wir sehen wirklich Menschen in Arbeit, die arm sind."

Langfristige Probleme gerade bei Kindern befürchtet

Betroffen seien vor allem Familien und Alleinerziehende. In Zahlen: Der Schwellenwert für Armutsgefährdung in Deutschland lag laut Statistischem Bundesamt 2021 bei einem Haushalt mit zwei Kindern bei einem Netto-Monatseinkommen von 2.410 Euro. Und vieles kommt gerade zusammen. Die stark gestiegenen Energiepreise, die hohe Inflation, hohe Mieten und dazu nicht mitgestiegene Löhne. Das hat Folgen: Sparer können weniger bis gar nichts zur Seite legen. Und wer nicht spart, kann sich in Zukunft noch weniger Eigentum leisten.

Die Befürchtung: Langfristige Probleme, gerade bei Kindern. "Aktuell ist es so, dass jedes fünfte Kind in Hessen schon in Armut lebt", sagt Alenaghi. "Wenn wir wissen, dass insbesondere Haushalte, die entweder alleinerziehend sind oder eben mehrere Kinder haben, von Armut betroffen sind, dann ist natürlich eine Folge, dass dann auch die Kinder in Armut kommen."

"Kein so starker Einbruch bei Kaufkraft"

Die Befürchtung ist das eine, wie es gerade wirklich aussieht, das andere: Wenn man auf die Zahlen schaut, sieht man jetzt noch nicht so viele Probleme, sagt Christoph Schröder vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Vielmehr sehe man, dass die durchschnittliche Kaufkraft gerade mal auf das Niveau von 2018 gesunken sei. "Das ist jetzt noch kein so starker Einbruch, aber er ist natürlich spürbar - zumal wir auch bei den Gütern, die man eben sehr häufig kauft wie Nahrungsmittel, große Preissteigerungen haben und man nicht weiß, wie stark die Energiepreise noch steigen werden. Da ist natürlich auch ein Faktor der Unsicherheit mit dabei."

Mieten würden auch nicht ins Unermessliche steigen, die Inflation würde sich auch langfristig wieder einpendeln. Der Ernst der Lage sei aber trotzdem nicht zu unterschätzen, es gebe durchaus Belastungen durch die hohen Energiekosten, sagt Schröder.  

"Zahlen sagen nicht alles aus"

Nicht von Armut betroffen zu sein bedeutet aber nicht nur, dass man genug Geld hat, um über die Runden zu kommen, sagt Yasmin Alenaghi vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Zahlen sagen nicht alles aus. Es käme auch sehr darauf an, aus welchem Blickwinkel man Armut betrachte. "Das ist leider auch etwas, was uns in der Politik oft begegnet, wo es heißt: 'Naja, so schlecht geht es denen noch gar nicht, die haben noch ein Dach überm Kopf oder die haben was zu essen.'" Aber wenn Kinder zum Beispiel nicht zu einem Kindergeburtstag gehen könnten, weil sie sich kein Geschenk leisten könnten oder keine Freunde nach Hause einladen könnten, weil kein eigenes Zimmer vorhanden sei, dann sei das auch ein Ausgeschlossensein aus einer Gesellschaft. Und das sei auch wichtig für die Armutsbetrachtung."

Ob es gerade ein Abrutschen der Mitte gibt, ist aktuell schwierig zu beurteilen. Das dürfte sich erst in etwa zwei Jahren zeigen, sagt Christoph Schröder vom Institut der deutschen Wirtschaft. Gerade in Hessen erhöht sich der Anteil der von Armut betroffenen Menschen gerade rapide, sagt Yasmin Alenaghi. Von 2020 bis 2021 hat sich in Hessen die Armutsquote um einen Prozentpunkt erhöht - innerhalb eines Jahres. Gut 56.000 Menschen allein in Hessen sind in die Armut abgerutscht. Woran das liege, wisse man aber derzeit nicht. Alenaghi fordert deswegen, dass die Politik hier unbedingt nachforschen und nachbessern müsste. 

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