Gehirn

Wir alle neigen dazu, Menschen in bestimmte Schubladen einzuordnen, sagen aktuelle Studien - auch wenn uns das meist gar nicht bewusst ist. Wie sehr bestimmen solche Stereotype unser soziales Miteinander? Und was kann man tun, um die Menschen hinter den Vorurteilen zu erkennen?

Suheila trägt ein Kopftuch. Nur dieser eine Satz, und schon ist da dieses Bild im Kopf. Ein ganz bestimmtes Frauenbild. "Ich glaube, die Leute denken, dass das Tuch eine Form von Unterdrückung ist. Und dass ich eventuell die Sprache nicht beherrsche und dass ich mich nicht integrieren möchte oder nicht integrieren kann."

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"Alles Wissen"

Um Vorurteile und wie sie unser Denken bestimmen geht es auch in "Alles Wissen" - am Donnerstag (10.11.) um 20:15 Uhr im hr-fernsehen und im Anschluss in der ARD-Mediathek.

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Da sind sie wieder - Vorurteile. Jeder von uns hat sie, ob bewusst oder unbewusst. Durch Vorurteile stecken wir Menschen in Schubladen. Aber warum machen wir das eigentlich? Weil wir ohne Schubladendenken unseren Alltag gar nicht bewältigen könnten, sagt Sozialpsychologin Stefanie Hechler: "Je mehr Komplexität wir in unserem Umfeld haben, desto wichtiger sind diese schnellen Denkmuster."

Blitzschnelles Einordnen in Freund und Feind

Die Evolution hat unser Gehirn aufs Überleben programmiert. Dazu gehörte das blitzschnelle einordnen, wer Freund ist und wer Feind. Das Interessante: Die Freundes- und Feinbilder sind nicht biologisch festgelegt, erklärt Sozialpsychologin Stefanie Hechler: "Wir schieben Menschen in Gruppen, und wir schreiben diesen Gruppen bestimmte Stereotypen und bestimmte Vorurteile zu. Aber welche Gruppen das sind und welche Vorurteile, das ist tatsächlich irgendwie aus dem Kontext unserer Sozialisation, dem, was wir mitkriegen und so weiter, gewachsen. Und das lässt sich auf jeden Fall ändern."

Stefanie Hechler forscht am Deutschen Institut für Integrations- und Migrationsforschung zu Vorurteilen. Denn: Vorurteile sind gesellschaftlicher Sprengstoff. "Da gibt es ganz viele Studien, die zum Beispiel zeigen, dass Personen mit türkischen Namen mehr Schwierigkeiten haben, an eine Wohnung zu kommen, als Leute mit deutschen Namen."

Mehr Erfolg beim Bewerben als "Frau Brand"

Hier noch ein anderer Satz fürs Kopfkino: Frau Brand kommt zum Bewerbungsgespräch. Welches Bild entsteht dadurch? Doch sicher ein ganz anderes als vorhin bei Suheila, die Kopftuch trägt. Der Witz dabei: Suheila und Frau Brand sind ein und dieselbe Person. "Mein ursprünglicher Familienname war Asisi", erzählt sie. "Ich hatte einen Monat, bevor ich geheiratet habe, zehn Bewerbungen rausgeschickt und hatte kein Vorstellungsgespräch. Und einen Monat später habe ich standesamtlich geheiratet, habe den Namen Brand angenommen und hatte zehn Bewerbung rausgeschickt - und ich hatte zehn Vorstellungsgespräche."

Suheila Brand lebt in Kassel und arbeitet als Erzieherin. Ihr Kopftuch trägt sie aus freien Stücken, mit einem guten Gefühl. Sie hat jedoch auch Anfeindungen erlebt: "Ganz schlimme Aussagen wie Dreckspack, geh hin, wo du herkommst oder dass mir vor die Füße gespuckt wurde."

Gefahr der Spaltung

Vorurteile sind nicht nur das Problem Einzelner. Sie gefährden den sozialen Frieden, warnt Psychologin Stefanie Hechler. "Dass manche Chancen haben, manche keine Chancen, manche mehr Zugang, mehr Teilhabe, andere weniger - das kann in einer Demokratie, die ja eigentlich auf einer Gleichwertigkeits-Vorstellung in der Gesellschaft basiert, zu einer Spaltung oder Polarisierung und auch zu einem Auseinanderleben führen."

Immerhin: Das Thema Vorurteile ist auch bei uns im Bewusstsein angekommen. Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung nennen Wohnen, Schule und Arbeit als Lebensbereiche, in denen rassistische Ausschluss-Mechanismen wirken.  Knapp 70 Prozent der Deutschen sind aber auch bereit, Rassismus entgegenzutreten. Dazu gehört auch, sich die eigenen Vorurteile bewusst zu machen - und nicht zu schweigen, wenn andere sie äußern.

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