Cannabisblüte

Am Sozialpädiatrischen Zentrum des Klinikums Frankfurt-Höchst werden Kinder und Jugendliche mit neurologischen Erkrankungen behandelt. Seit 2016 wird dabei auch mit einem Wirkstoff aus der Hanfplanze gearbeitet. Mit Erfolg: Bei 15 Patientinnen und Patienten ist er inzwischen ein Baustein der Therapie. Ein Wundermittel sind die Hanfzubereitungen aber nicht.

Es ist viel los im Gebäude C des Höchster Klinikums - dort, wo das Sozialpädiatrische Zentrum (SPZ) seinen Sitz hat. Hier werden Kinder und Jugendliche mit neurologischen Erkrankungen behandelt, Anfallsleiden und Entwicklungsstörungen zum Beispiel. Für Diego Matias Da Silva ist der Behandlungstermin Routine. Das Gehirn des 17-Jährigen war bei seiner Geburt beschädigt worden. Seitdem ist er Patient im SPZ.

Nicht der Stoff, aus dem die Kifferträume sind

Diego sitzt im Rollstuhl. Er wird sein Leben lang auf Hilfe angewiesen sein. Lange haben ihm epileptische Anfälle zu schaffen gemacht. Aber es sei jetzt viel besser, sagt seine Mutter Shirley: "Die Anfälle sind weniger geworden. Es gibt jetzt Tage, wo er überhaupt keine Anfälle bekommt." Früher kamen die Krämpfe um die 20 Mal am Tag. Was Diego hilft, ist ein Wirkstoff aus der weiblichen Hanfblüte. Aber es ist nicht der Stoff, aus dem die Kifferträume sind. Diegos behandelnde Ärztin Melanie Jetter stellt klar: "Das hat mit dem Cannabis, was man sonst irgendwie raucht, um in einen Rausch zu kommen, nichts zu tun."

Die weibliche Cannabispflanze kann nämlich mehr als einen Rausch auslösen, wenn ihre Bestandteile in Rauch aufgehen. Viel mehr. Annette Heinz weiß das genau. Die Frankfurter Apothekerin war eine der ersten, die es gewagt haben, aus Hanfblüten Medizin zu gewinnen. "Das Spannende ist, dass die Cannabispflanze ja mehrere Wirkstoffe enthält, nicht nur das THC, was alle kennen, sondern halt andere pflanzliche Inhaltsstoffe wie das Cannabidiol, was ja erfolgreich eingesetzt wird."

Wenig Nebenwirkungen, guter Effekt

Dass Diego jetzt seltener Krämpfe hat, verdankt er einer Cannabidiol-Mixtur von Annette Heinz. Das Sozialpädiatrische Zentrum in Höchst verwendet die Zubereitungen der Frankfurter Apothekerin. "Bei Kindern mit Epilepsie oder mit Entwicklungsstörung, da hat man jetzt unerwartet ganz viele Erfolge. Es gibt im Körper einen Cannabinoid-Rezeptoren-System, und irgendwie scheint das gut zu funktionieren", sagt Heinz.

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„Das Leben von Diego hat sich komplett verändert. Er kann besser schlafen und nimmt viel mehr wahr.“ Shirley Matias Da Silva Shirley Matias Da Silva
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Bei Diego ist das jedenfalls so. Seit vier Jahren erhält er das Cannabisextrakt - auch, weil mit herkömmlichen Arzneimitteln zuvor keine nachhaltige Besserung erzielt werden konnte, so Ärztin Melanie Jetter. "Diego hat über die Jahre 13 verschiedene Medikamente gehabt, in verschiedenen Dosierungen. Diese ganzen Anti-Epileptika machen auch viele Nebenwirkungen, und das Cannabidiol ist erfreulicherweise ein Präparat, was sehr wenig Nebenwirkungen, aber einen guten Effekt eben auf die Krampfanfälle hat."

Formale Hürden

Wundermittel sind die Hanfzubereitungen aber nicht. Der erwünschte therapeutische Effekt tritt nicht bei allen Patientinnen und Patienten ein. Und wenn er es tut, sei er nicht immer von Dauer, sagt Mechthild Pies, die Chefärztin des Sozialpädiatrischen Zentrums: "Ich hatte ein Kind, das hatte 60 Anfälle am Tag und war vorübergehend anfallsfrei. Aber die Langzeitwirkung hat das manchmal dann doch nicht halten können."

Bewährt hat sich die Anwendung, die seit 2016 im SPZ praktiziert wird, aber allemal. Bei 15 Kindern und Jugendlichen ist die Heilkraft der Hanblüte dort zurzeit ein Baustein der Therapie. Zugelassen ist das nur für die Behandlung von ganz bestimmten schweren Formen der Epilepsie, erläutert SPZ-Leiterin Pies, und die Krankenkassen entscheiden von Fall zu Fall, ob sie das bezahlen. "Die Familien müssen den Antrag stellen", sagt Pies. "Wir unterstützen sie natürlich, aber es ist halt eine formale Hürde und Belastung für die Familien, diesen Weg zu gehen."

Diegos Mutter Shirley Matias Da Silva hatte anfangs gezögert, mit ihrem Sohn diesen neuen Weg zu beschreiten. Die Zweifel sind längst verflogen: "Heute sind wir sehr dankbar, weil das Leben von Diego hat sich komplett verändert. Er kann besser schlafen und nimmt viel mehr wahr."

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