Draufsicht auf ein Buch mit Text in Braille, daneben eine einer Braille-Schreibmaschine auf einem braunen Tisch, der von der Sonne angestrahlt wird

Stellen Sie sich vor, sie müssten Mathe pauken und könnten all die Formeln und Grafiken nicht sehen: Blinde Menschen stoßen beim Mathe Lernen regelmäßig an Grenzen. Ein untragbarer Zustand sei das, sagt die Marburger Mathematik-Professorin Ilka Agricola und will das jetzt mit ihrem Team ändern.

Rund zehn Jahre ist es her, da klopfte ein sehbehinderter Student an die Bürotür der Marburger Mathematikprofessorin Ilka Agricola und fragte nach Lernmaterialien. "Und dann hab ich mich gefragt: Wie macht man da einfach Materialien? Und irgendwie hat’s mich dann nicht mehr losgelassen."

Schnell war klar: Je naturwissenschaftlicher, je technischer Fächer sind, desto schwieriger finden sich barrierefreie Materialien für Blinde und Sehbehinderte. Sie würden geradezu von diesem Wissen ausgeschlossen, lautet die Kritik, und entschieden sich extrem selten für einen beruflichen Weg in diese Richtung.

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Projekt der Uni Marburg: Barrierefreie Mathematik

Draufsicht auf ein Buch mit Text in Braille, daneben eine einer Braille-Schreibmaschine auf einem braunen Tisch, der von der Sonne angestrahlt wird
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"Ich habe hier in Marburg Mathe studiert und habe während des Studiums einfach gemerkt, dass 80 Prozent meiner Energie drauf ging, Barrieren zu beseitigen," erzählt Kai Kortus. Der Mitarbeiter von Ilka Agricola ist selbst blind. Geradezu paradox seien viele Hürden, mit denen er in der Mathematik zu kämpfen hatte. Als sehender Mensch wüsste man, wie mathematische Inhalte dargestellt werden. Etwa "welche griechischen Buchstaben für welche Inhalte verwendet werden, wie ein Wurzelzeichen aussieht, und die sind einheitlich. Und es wäre schön, als sehgeschädigter oder blinder Mensch eben dieselbe Universalität auch vorzufinden."

Das Ziel: Barriefreie Standardlehrbücher

Denn Wurzelzeichen oder griechische Buchstaben seien völlig uneinheitlich dargestellt in den Computerprogrammen oder Lernunterlagen, die er nutzen kann. Und weil es noch so wenige blinde und sehbehinderte Mathestudis gäbe, seien auch hilfreiche Lernunterlagen weit verstreut, bemängelt Kortus. Abhilfe schaffen soll hier nun das Projekt Math4VIP, hofft Ilka Agricola – und das für alle Fächer, in denen Mathelernen wichtig ist: "Unsere Vorstellung ist, dass es im gesamten deutschsprachigen Raum Materialien gibt, die die Grundlagen der Mathematik aufarbeiten. Das Schöne ist ja: Mathematik ist zeitlos, sodass man wirklich davon profitieren kann, diese Materialien bereitzustellen."

Und zwar zunächst in Form einer Internetplattform, sagt Ilka Agricola. Auf der werden die weit verstreuten Best-Practice-Beispiele gebündelt, die es Blinden und Sehbehinderten erleichtern, Mathematik zu lernen. Geplant sind außerdem neue Standards und Leitfäden für die Lehr- und Lernpraxis: "Mein Traum wäre es auch, dass wir am Ende unseres Projektes durch Kooperation mit Wissenschaftsverlagen ein paar Standardlehrbücher in barrierefreier Form für unsere Anfangsstudenten haben."

Dieses Ziel erreichen will sie mit der Hilfe des Karlsruher Instituts für Technologie und eines Nürnberger Unternehmens, das daran arbeitet, Grafiken per Tastsinn verständlich zu machen. 500.000 Euro Startfinanzierung kamen von der Volkswagenstiftung. Und dass die Idee aus Marburg stammt, ist für Ilka Agricola fast selbstverständlich: Denn wo sonst in Deutschland gäbe es ähnlich viele Top-Bildungseinrichtungen für Blinde und Sehbehinderte? Und die erwarten schon ganz neugierig die Ergebnisse von Math4VIP.

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