Mann singt

Nach einem schweren Covid-Verlauf gleich auf die große Bühne? Klingt seltsam, aber genau das machen 30 Long-Covid-Patienten am griechischen Nationaltheater in Athen. Denn Singen trainiert die Atemmuskulatur und ist gut für die Psyche, sagen die Organisatoren. Die positiven Effekte seien eindeutig nachweisbar.

Yannis Tsiotsiopoulos braucht viel Zeit, um einkaufen zu gehen – obwohl der nächste Lebensmittelladen gleich um die Ecke ist und er nur ein paar Kleinigkeiten besorgt hat. Der 52-Jährige ist im Februar 2021 an Covid-19 erkrankt, mit schwerem Verlauf.

Drei Monate war der Filialleiter einer Bank krankgeschrieben. Wieder vollständig gesund ist er aber immer noch nicht: "Was ich hauptsächlich fühle, sind Probleme bei der Bauchatmung, also beim tiefen Durchatmen. Ich habe das Gefühl, dass sich die Luft hier sammelt", sagt er und deutet auf seinen Bauch. Dass er den kurzen Gang mittlerweile zu Fuß bewältigen kann, ist immerhin ein großer Fortschritt. Noch vor kurzem hätte er das Auto nehmen müssen.

Singen soll Körper und Seele öffnen

Zu Hause wartet schon seine Frau Dionysía auf ihn. Auch sie ist an Covid-19 erkrankt, aber mit lange nicht so schlimmen Folgen. Dionysía macht sich große Sorgen um ihren Mann. Wie lange er gelaufen sei, fragt sie ihren Mann. "Ich kam zu Fuß über die Hauptstraße bis hierher", sagt er. "Das macht mich müde. Ich habe auch versucht, die Treppe hinaufzusteigen, ein Stockwerk habe ich geschafft." Die Genesung läuft mühsam, ist manchmal sehr frustrierend. Doch seit kurzem ist er wieder zuversichtlicher - dank eines ganz besonderen Therapieprogramms.

Yannis Tsiotsiopoulos steht mit drei anderen Long-Covid-Patienten in einem Proberaum im Nationaltheater in Athen - und singt. Beim Singen kommt es auf die richtige Atmung und auch auf die Körperhaltung an. All das üben Yannis und die anderen hier und trainieren damit automatisch ihre Atemmuskulatur. Aber nicht nur das, erklärt Gesangslehrerin Angeliki Toubanaki: "Unser Ziel ist durch Singen und durch Stimm- und Atemtechnik den Leuten zu helfen, sich zu öffnen. Die geschrumpften Körper öffnen und auch die Seele."

"Unvorstellbare Situation" im Krankenhaus

Denn Covid-19 ist nicht nur eine riesige Belastung für den Körper, sondern sehr oft auch für die Psyche. Das hat meist auch mit den Erfahrungen im Krankenhaus zu tun. Das griechische Gesundheitssystem wurde vom Coronavirus regelrecht überrollt. Für die vier Millionen Einwohner von Athen stehen gerade einmal 400 Intensivbetten zur Verfügung. Auch sonst sind viele Krankenhäuser miserabel ausgestattet und personell völlig unterbesetzt.

Yannis Tsiotsiopoulos wurde in einem separaten Container eines Krankenhauses zusammen mit 18 anderen Covid-Patienten behandelt, seine Frau durfte ihn nicht sehen. "Wir haben dem Krankenhauspersonal bei der Arbeit helfen müssen und versuchten auch, uns gegenseitig zu helfen", sagt er. "Es war eine unvorstellbare Situation. Ein Patient befand sich in sehr schlechtem Zustand, ich hörte Ärzte sagen, dass er ohnehin nicht überlebt. Sie sagten: Nehmt ihn hier raus, bringt ihn woanders hin, damit wir nicht noch mehr Arbeit haben."

"Positive Effekte eindeutig nachweisbar"

Erfahrungen wie diese zu verarbeiten - auch dabei soll das Gesangsprojekt helfen. Wegen der Corona-Auflagen dürfen immer nur wenige Teilnehmer im Nationaltheater singen. Manche Patienten machen die Übungen deswegen erst einmal per Videoschalte am Computer.

Vier Universitätskliniken sind mittlerweile beteiligt und werten die Daten der Teilnehmenden wissenschaftlich aus. Die positiven Effekte sind eindeutig nachweisbar, sagt Paraskevi Katsaounou vom Universitäts-Krankenhaus Evangelismos in Athen: "Ich kann Ihnen sagen, dass das jetzt völlig andere Menschen sind als früher. Wenn man singt, ist auch die Seele beteiligt und man kann entspannen und sich gleichzeitig auf entspannte Art ausdrücken, ohne an seine körperlichen Schranken und Grenzen zu denken. Ich glaube, das ist die perfekte Kombination."

Lebensqualität deutlich verbessert

Sechs Wochen dauert das Programm. Yannis hat es als einer der ersten im vergangenen Sommer absolviert. Die Mitglieder seiner Gruppe treffen sich seitdem aber weiterhin immer wieder zum Üben. "Durch diesen Prozess und die Übungen fängt mein Körper wieder an, seine richtige Haltung zu finden", erzählt er. "Die Gefühle, die durch das Singen entstehen, helfen mir, besser zu funktionieren. Sie helfen mir, wieder mehr wie früher zu leben und aktiv zu sein."

Auch wenn er noch lange nicht wieder so fit ist wie vor der Corona-Infektion, hat die Musik geholfen, seine Lebensqualität deutlich zu verbessern und ihn seelisch aus einem tiefen Loch befreit.

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