Frau bei einer EKG-Untersuchung

Der deutsche Mann ist im Durchschnitt etwa 1,80 Meter groß und wiegt gut 80 Kilo: An diesem Durchschnittstyp orientieren sich wissenschaftliche Studien seit Jahrzehnten. Das heißt auch: Es fehlen Daten zu den Frauen. Dieses Phänomen ist auch als "Gender Data Gap" bekannt - und hat Folgen für nahezu alle Lebensbereiche.

Beispiel Büroklima: Vor einigen Jahren – in 2015 – berichtete die Wissenschaftszeitschrift "Nature Climate Change" über eine neue Studie zur optimalen Temperatur im Büro. In einem Bericht darüber heißt es: "Aus einer neuen Studie im Fachblatt Nature Climate Change stammen die Standardeinstellungen für Klimaanlagen noch aus den 60er-Jahren und sind perfekt für einen 40-jährigen Mann. Für junge Frauen sind sie dagegen um einige Grad zu kalt eingestellt," - weil weil der Stoffwechsel bei Frauen im Schnitt langsamer ist als bei Männern. Die Folge: Männer fühlen sich eher bei 22 Grad wohl, Frauen bei 24 Grad.

Auch bei künstlicher Intelligenz kommen die Daten in der Entwicklung oft vor allem von Männern – heißt für Frauen: Spracherkennungssysteme verstehen männliche Stimmen besser als weibliche.

Zu wenig weibliche Unfalldaten

Und auch bei der Forschung zu Verkehrsunfällen dominiert der Männerkörper – Stichwort Crashtestdummies. Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, erklärt: "Das Problem liegt eher so im Mittelfeld, dass wir also auch '50-Prozent Mann' haben, der ungefähr den Durchschnitt der deutschen Männerbevölkerung widerspiegelt, aber eben keine '50-Prozent-Frau' - also eben den Durchschnitt der Frauen nicht widerspiegelt. Und da ist tatsächlich eine Lücke."

Ein Problem. Denn die Nackenmuskulatur ist im weiblichen Körper weniger stark ausgeprägt. Frauen haben daher ein höheres Risiko für ein Schleudertrauma bei einem Unfall. Mehr Unfalldaten mit Crashtestdummies, die dem durchschnittlichen weiblichen Körper entsprechen, könnten also zu mehr Sicherheit im Auto führen. 

Andere Symptome, andere Dosierung

In der Medizin ist mittlerweile seit einigen Jahren bekannt, dass beim Herzinfarkt Frauen oft ganz andere Symptome haben als Männer. Letztere haben beim Herzinfarkt häufig Schmerzen im Arm – die spürt aber nur jede dritte Frau. Die Folge: eine falsche oder gar keine Diagnose. Gefährlich, denn gerade auch beim Herzinfarkt zählt die schnelle und richtige medizinische Versorgung.

Problematisch ist das Datenloch zu Frauen auch bei Medikamenten – die werden ebenfalls eher an männlichen Tieren und Menschen erprobt. Das könne zur falschen Dosierung von Medikamenten führen, erklärt Vera Regritz-Zagrosek, Professorin für frauenspezifische Gesundheitsforschung an der Charité in Berlin: "Frauen unterscheiden sich von den Männern zum Beispiel durch die Körperzusammensetzung. Der Umbau der Arzneimittel, die Aktivierung in der Leber erfolgt anders bei Männern und Frauen und auch die Ausscheidung über die Niere." Nun könne man zwar sagen, dass man das alles berechnen könne, aber: "Das ist nicht alles eine Funktion der Körpergröße, sondern tatsächlich des männlichen und weiblichen Geschlechts."

Bundesregierung will abhelfen

Warum aber testen vor allem Männer neue Medikamente? Dazu sagt Regritz-Zagrosek: "Es gibt erst einmal die Dosisfindungs-Studien. Hier scheut sich die Industrie sehr, Frauen einzubeziehen. Man will natürlich nicht an einer potenziell Schwangeren ein noch unbekanntes Arzneimittel testen." Frauen müssten daher in Medikamentenstudien engmaschiger überwacht werden, sagt die Gendermedizinerin. Und das kostet mehr Zeit und mehr Geld.

Geld, das auch die Bundesregierung in die Hand nehmen will, um die Datenlücke zu den Frauen zu schließen. Das hatte sich die Ampel im Koalitionsvertrag für ihre Amtszeit zum Ziel gesetzt. Mehr als vier Millionen Euro sollen dazu aus dem Bundesgesundheitsministerium kommen, um geschlechterspezifische Besonderheiten zu erforschen und entsprechende Modellprojekte zu fördern.

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