In Deutschland werden zu wenige Informationen gesammelt

In Deutschland wird wieder einmal über die Corona-Maßnahmen diskutiert - und das auf nach wie vor dünner Datengrundlage. Damit uns das im Herbst nicht um die Ohren fliegt, müssen Politik und Behörden schnell handeln, meint unsere Kommentatorin.

Corona-Strategien für den Herbst? Man könnte fast zynisch sagen: Der politische Streit um Zeitpläne, um das Prozedere, um die Besetzung von Expertengremien und die Wirksamkeit von Corona-Maßnahmen ist dem Virus völlig egal.

Die Omikron-Varianten BA4 und BA5 breiten sich jetzt bei uns aus, die Ansteckungen werden in Deutschland deutlich vor dem Herbst wieder zunehmen und gerade sind immer weniger Menschen zu freiwilligen Maßnahmen bereit. Freiwillig Maske tragen? Freiwillig PCR testen? Wozu, wenn der Politik ein klares gemeinsames Ziel fehlt, was Pandemiebekämpfung leisten muss?

In Deutschland fehlt systematisches Wissen

Und noch etwas fehlt: systematisches Wissen. Statt wie andere Länder große Bevölkerungsstudien zu machen und Daten zu sammeln, wurde in Deutschland wertvolle Zeit verschenkt. Anders als Großbritannien wissen wir nicht, wie groß die Immunitätslücke in Deutschland ist. Wie viele Menschen durch eine unbemerkte Infektion Antikörper haben. Und wie viele Menschen ihren Schutz durch Impfung oder Infektionen verloren haben. Wir brauchen eine große Antikörperstudie, um zu wissen, was los ist.

Die gute Nachricht: BA4 und BA5 machen uns wohl nicht schwerer krank. Die schlechte Nachricht ist: Wenn das dazu führt, dass wir alle Vorsichtsmaßnahmen über Bord werfen, werden wir im Herbst neben Alten und Vorerkrankten eine neue Risikogruppe haben: die Kinder, die sich durch Nachholeffekte massenweise mit Atemwegsviren wie dem RSV-Virus oder der saisonalen Grippe anstecken könnten. Die Kinder und Jugendmedizin sollte ausgestattet und vorbereitet sein. Wir brauchen bis zum Herbst eine gute Surveillance für Atemwegserkrankungen, um zu wissen, was gerade los ist. Der Expertenrat der Bundesregierung hat gerade entsprechende Empfehlungen gegeben.

Wir brauchen endlich mehr Wissen

Und, was uns auch nach zwei Jahren noch fehlt: ein digitales Echtzeit-Lagebild, das auch für die Wissenschaft und die Öffentlichkeit bereitsteht. Daten zur Krankheitsschwere, zu Altersgruppen und sozio-ökonomischen Schichten. Um – ich wiederhole mich – zu wissen, was eigentlich los ist.

Aufgeklärte Entscheidungen treffen, das ist die wahre Herausforderung in diesem Herbst. Dazu brauchen wir endlich mehr Wissen. Die Frage, ob dann Maske tragen, Kontaktbeschränkungen oder Impfkampagnen angesagt sein werden, können wir nur so sinnvoll beantworten.

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Der Kommentar spiegelt die Meinung des Autors und nicht die der Redaktion wider.

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