Nachhaltigkeit Kann Kapitalismus Klimaschutz?

„Schafft den Kapitalismus ab, sonst wird das mit Klimaschutz nie was“: Das fordern manche Klimaschutzaktivistinnen und -aktivisten. Stimmt das? Und wenn ja, was wäre die Alternative? Wir haben Wissenschaftlerinnen aus Wirtschafts- und Geisteswissenschaften gefragt.

Ein Demonstrant steht mit einem Schirm, auf welchem "Kapitalismus, Klimaschutz" steht vor der Baden-Württembergischen Bank während der Demonstration am Globalen Klima Aktionstag.
Demonstration am Globalen Klima Aktionstag in Stuttgart Bild © picture-alliance/dpa
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Einfach gesagt funktioniert Kapitalismus so: Unternehmen produzieren Dinge, weil sie damit Gewinne machen können. Profit ist der zentrale Motor dieses Wirtschaftssystems, erklärt die Professorin für politische Philosophie, Lisa Herzog, von der niederländischen Universität Groningen. Und die Unternehmen stehen im Wettbewerb miteinander.

Es sei immer die Frage: "Wie können sie ihre Kosten senken und ihre Gewinne erhöhen?", sagt Herzog. "Und wenn das nicht politisch verhindert wird, dann ist eine Art, die Kosten zu senken oft, dass man versucht, andere Parteien besser auszubeuten als die Konkurrenz. Und dann wird das oft sehr schädlich."

Flexibles und innovatives System

Ausbeutung gehört seit der Entstehung des Kapitalismus dazu. Ausbeutung von Arbeiterfamilien, Ausbeutung der Kolonien und Ausbeutung der Natur. Allerdings waren sozialistische Systeme wie etwa die DDR ökologisch mindestens genauso rücksichtslos. Ihr Klimagasausstoß war sogar besonders hoch. Und der Kapitalismus hat sich insgesamt als sehr flexibles und innovatives System erwiesen - wichtige Eigenschaften bei der jetzt nötigen Neuausrichtung auf Klimaschutz.

Können wir den Kapitalismus also beibehalten, nur ohne Ausbeutung? Ja, sagt Karen Pittel, Professorin an der LMU München und oberste Umweltökonomin am Münchner ifo-Institut. "Ich kämpfe immer so ein bisschen mit dem Wort Kapitalismus, weil Kapitalismus klingt immer so ein bisschen danach, dass ich jeden machen lasse, vor allem die Firmen machen lasse, was immer sie wollen und eigentlich gar nicht eingreife in die gesamten Märkte und in das Wirtschaftsgeschehen. Und das ist aus meiner Sicht nicht das, was wir brauchen", meint Pittel.

Kurzfristiges Denken der Politik

Im Gegenteil. Es brauche zum Beispiel CO2-Preise für Unternehmen und strenge Umweltstandards. An den besten Konzepten tüfteln Umweltökonomen und Umweltökonominnen wie Karen Pittel seit Jahrzehnten. Als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats globale Umweltveränderungen ist sie eine der obersten Beraterinnen der Bundesregierung in Sachen Umwelt. Warum aber bleiben so viele ihrer Vorschläge liegen, obwohl beim Klimaschutz die Zeit drängt?

In der Politik werde zu kurzfristig gedacht, sagt die Ökonomin Pittel, und die Philosophin Herzog ergänzt: "Ich glaube, dass sehr viel Wandel sozusagen steckenbleibt an den Stellen, wo die Öffentlichkeit nur so ein allgemeines Interesse daran hat, dass sich etwas ändert, aber es bestimmte Interessensgruppen gibt, die ein sehr ausgeprägtes Interesse haben, dass sich was nicht ändert."

Nicht abschaffen, aber verändern

Konkret: Lobbyisten haben Klimaschutz immer wieder verhindert. Was setzt man dem entgegen? Die Sozialwissenschaftlerin Herzog antwortet mit Leidenschaft, Demokratie: "Und da sind wir auch alle gefragt als Bürgerinnen und Bürger, dass hier die demokratische Politik stärker ist als die reine Eigenlogik des Kapitalismus. Denn bisher ist die nicht auf Nachhaltigkeit ausgelegt."

Herzog schlägt zum Beispiel das Konzept der sogenannten Lebensarbeitszeit vor, in dem neben der Erwerbsarbeit aufs Leben gerechnet gleichwertig Familienzeit und Zeit für gesellschaftliches Engagement stehen. Sie erhofft sich dadurch eine stärkere Demokratie. Denn "Kapitalismus kann Klima, wenn er von demokratischen Bürgerinnen und Bürgern dazu gezwungen wird", meint Herzog.

Wenn man effektiven Klimaschutz will, muss man den Kapitalismus also nicht unbedingt abschaffen - verändern aber ziemlich sicher

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Sendung: hr-iNFO "Aktuell", 9.11.2022, 6 bis 9 Uhr

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Quelle: hr-iNFO