Stefanie Stahl

Sie gilt als Deutschlands bekannteste Psychologin, ihre Bücher verkaufen sich millionenfach. Stefanie Stahl weiß, wie wir Menschen ticken und sagt: "Wenn wir uns immer abtrennen von unseren Emotionen, dann trennen wir uns von unserem Menschsein ab“. Sie meint: Wir müssen uns mehr mit unserer Psyche beschäftigen.

Stefanie Stahl hatte eine sehr bunte Kindheit und ein liebevolles Elternhaus. Es gab viel Freiheit und viele Gäste, die immer wieder zu Besuch kamen. Sogar Helmut Schmidt war damals Gast der Eltern. "Das waren die 60er Jahre. Da wurden noch tolle Partys gefeiert“, erinnert sich die Psychologin. Stahl richtet heute noch mit Vorliebe Feiern aus und resümiert: "Ich habe gerne ein schönes Leben."

Das sei aber keine Ablenkung von den seelischen Abgründen, in die Stahl bei Ihrer Arbeit immer wieder blickt. Psychologen hätten einen großen Vorteil, sagt sie: "Wir fühlen uns nicht ganz so hilflos, weil wir den Menschen dabei helfen können, ihre Lebensgeschichte zu bewältigen.“ Dieses Gefühl, etwas bewirken zu können, verschaffe auch ein gewisses Gefühl der Kontrolle und die sei für den Menschen besonders wichtig. Denn der Mensch wolle dem Leben nicht hilflos ausgeliefert sein, so Stahl.

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Vier Grundbedürfnisse des Menschen

In ihrem neuen Buch "Wer wir sind" schildert die Psychologin den "Bauplan der Psyche“, den man eigentlich auf vier Grundbedürfnisse des Menschen reduzieren könne: Bindung und Zugehörigkeit, Autonomie und Kontrolle, Selbstwerterhöhung, Lustgefühle. Jeder wolle irgendwo dazugehören, so Stahl. "Wir tun sehr viel dafür, um Bindung zu bekommen. Und wenn mich jemand mag, zahlt das immer auf meinen Selbstwert ein." Der Selbstwert sei also sehr eng verflochten mit der Bindung.

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„Wir tun sehr viel dafür, um Bindung zu bekommen. Und wenn mich jemand mag, zahlt das immer auf meinen Selbstwert ein.“ Stefanie Stahl, Psychologin Stefanie Stahl, Psychologin
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Was für einen Selbstwert man entwickle, hänge auch stark vom Elternhaus ab. Menschen mit einem geringfügigeren Selbstwertgefühl wollen der Welt oft beweisen, dass sie doch Wert haben. Sie scheinen also nach außen hin sogar erfolgreich, "aber das Schattenkind in ihnen ist nicht wirklich geheilt von dem Erfolg. Sie denken, dass sie irgendwann auffliegen und die anderen merken, dass sie doch nicht so toll sind."

Kontrolle durch ein niedriges Selbstwertgefühl

Manchmal hielten Menschen aber auch an einem niedrigen Selbstwertgefühl fest, um ihre Beziehungen zu schützen. Stahl erklärt das an einem Beispiel: Eine Frau steckt in einer schwierigen Beziehung, in der der Mann sie abwertet und vielleicht auch fremdgeht. Die Frau kommt trotz dieser Momente aber nicht von ihm los. Im tiefsten Inneren hat sie das Gefühl, sie genüge nicht. Wenn sie besser aussehen würde und toller wäre, dann würde sich ihr Partner anders verhalten. Indem sie an ihrem niedrigen Selbstwertgefühl festhalte, erlange sie dadurch Kontrolle: "Denn wenn der Fehler auf ihrer Seite liegt, dann kann sie ja auch etwas daran ändern und hat dadurch dann schlussendlich die Kontrolle. Wir beschützen oft Beziehungen, indem wir uns selbst kleinhalten.“

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„Verliebtsein ist eine temporäre Hormonvergiftung.“ Stefanie Stahl, Psychologin Stefanie Stahl, Psychologin
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Eine gute Beziehung sei aber keine Glücksache, sondern vielmehr eine Frage der persönlichen Entscheidung. "Das Problem ist häufig die Verliebtheit am Anfang. Verliebtsein ist eine temporäre Hormonvergiftung", sagt Stahl. Oft würden sich Leute dann in Menschen verlieben, die alte Muster bedienen. Zum Beispiel den Kampf um Liebe. Diese Menschen würden sich dann immer wieder in die gleiche Art von Mensch vergucken.

Bei diesem Kampf um Liebe werde immer die größte Leidenschaft entfacht und das sei auf eine ganz einfache Sache zurückzuführen: die Hormone. "Denn bei etwas, das wir nur schwierig bekommen können, wird Dopamin ausgeschüttet", so Stahl. Auch sie selbst habe früher ein Händchen dafür gehabt, sich in den Falschen zu verlieben. "Hätte ich damals schon das Wissen von heute gehabt, dann hätte ich erheblich abkürzen können", gibt die Psychologin lachend zu.

Spricht gerade das innere Kind?

Sie empfindet es als enorm wichtig, sich mit dem inneren Kind zu beschäftigen und gibt das Beispiel eines Menschen, der eventuell als Kind durch diverse Bedingungen nicht genügend Aufmerksamkeit bekommen hat. "Die Person hat vielleicht damals gedacht, ich falle zur Last, ich bin zu viel“, beschreibt Stahl die fiktive Geschichte. Kinder könnten solche Situation nicht hinterfragen. Sie denken, Eltern haben immer recht. Diese Prägung würde die Person mit ziemlicher Sicherheit auch noch im Erwachsenenalter erleben. Hierfür müsse der Betroffene aber erst mal begreifen, dass er oder sie geprägt sei.

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„Es ist so wichtig, dass wir damit anfangen, uns selbst zu reflektieren. Es ist eigentlich ein Skandal, dass das nicht schon immer so war.“ Stefanie Stahl, Psychologin Stefanie Stahl, Psychologin
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Dann könne man vielleicht sehen: "Meine Eltern hatten vier Kinder und ein eigenes Unternehmen, das war sicherlich sehr schwierig für sie." Und immer, wenn im Erwachsenenalter diese Wut auftauche, sei es dann vielleicht möglich, kurz innezuhalten und sich zu fragen, was da genau gerade passiere. Aber auch sie selbst sei nicht davor gefeit, dass ihr inneres Kind sich einmal melde. Dann müsse sie sich selbst immer kurz fragen: "Hat das jetzt wirklich etwas mit der gegenwärtigen Situation zu tun oder wird da gerade wieder etwas aus der Vergangenheit getriggert?".

"Wir sind unsere Emotionen"

Deshalb wünscht sich die Psychologin, dass mit dem Thema Psyche offener umgegangen und auch schon früh damit angefangen wird. Denn, so Stahl: "Jeden Tag passieren Milliarden Handlungen, weil jemand seinen Seelenschrott, den er nicht richtig im Griff hat, an anderen Menschen ausagiert. Es ist so wichtig, dass wir damit anfangen, uns selbst zu reflektieren. Es ist eigentlich ein Skandal, dass das nicht schon immer so war. Jeder Mensch hat Probleme, jeder Mensch hat Themen und jeder Mensch kennt Phasen, in denen er mal verzweifelt war. Es war ganz lange ein Paradigma, dass Emotionen etwas Schädliches sind. Wir sind aber unsere Emotionen." Und die Psychologin gibt abschließend zu bedenken: "Wenn wir uns immer abtrennen von unseren Emotionen, dann trennen wir uns von unserem Menschsein ab."

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Buchtipp

"Wer wir sind: Wie wir wahrnehmen, fühlen und lieben - Alles, was Sie über Psychologie wissen sollten"
Kailash Verlag

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Das Interview führte Mariela Milkowa.

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