Der Selbstversuch Plötzlich Lehrerin
hr-iNFO-Redakteurin Petra Boberg hat elf Wochen als Lehrerin an einer sogenannten Brennpunkt-Grundschule gearbeitet. Einfach so, als Quereinsteigerin - ohne Einarbeitung. Weil der Lehrermangel groß ist, hätte die Schule sie am liebsten noch länger dabehalten.
Dass es schwierig werden könnte, das ahnte Petra Boberg bereits. Wie schwierig tatsächlich, das hat sie aber nicht kommen sehen. "Unterschätze niemals die Gruppendynamik von 23 Grundschulkindern", weiß Boberg elf Wochen später.
Die Journalistin arbeitet normalerweise in der Rechercheredaktion von hr-iNFO. Nach den Osterferien des vergangenen Schuljahres tauschte sie ihren Redaktionsstuhl aber gegen das Klassenzimmer einer Grundschule in Wiesbaden ein. Einer sogenannten Brennpunktgrundschule. "Nach den ersten beiden Stunden war klar, dass meine größte Herausforderung sein wird, so viel Disziplin auszustrahlen, dass die Kinder einfach leise sind", erzählt sie. Geschafft hat sie das in den kompletten elf Wochen an der Schule aber nicht.
Das System von innen kennenlernen
Am Anfang stand die Idee, über den steigenden Lehrermangel in Deutschland zu berichten. Dass es diesen Mangel gibt und dass er zunehmend mit Quereinsteigern, sogenannten Ungelernten, aufgefangen wird, beobachtet Boberg schon seit längerem. "Uns war wichtig, dass wir nicht nur über das System reden, sondern ins System reingehen", sagt die 48-Jährige.
Mit Quereinsteigern zu sprechen, erwies sich allerdings als schwierig. Die "Aushilfslehrer" sind beim Kultusministerium angestellt und haben meist nur befristete Verträge. Dass das Ministerium es nicht so gerne sieht, wenn innerhalb des Systems Kritik geäußert wird, versteht sich von selbst. Also hat sich Boberg einfach selbst beworben, um einen tieferen Einblick zu bekommen. An einer Brennpunktschule. Dort, wo die meisten Ungelernten hinkommen, weil es den größten Bedarf an Lehrkräften gibt.
Und was ist mit den speziellen Bedürfnissen?
"Ich bin eigentlich bestens geeignet: Ich bin Akademikerin und beim Hessischen Rundfunk auch in der Aus- und Fortbildung tätig", sagte Boberg. Um mehr als 20 Grundschulkinder auf einmal zu unterrichten, war das aber nicht genug. "Nach drei Tagen habe ich gemerkt: Mir fehlt das didaktische und pädagogische Handwerkszeug."
Jedes Kind hat seine eigenen Stärken und Schwächen. Manche können noch nicht so gut Deutsch sprechen, andere haben noch nie eine Schere benutzt. Widmete sich Boberg aber nur einem Kind und seinen speziellen Bedürfnissen, "sind alle anderen über Tische und Bänke gesprungen".
"Das kann nicht gelingen"
Verantwortlich dafür, dass sie zwischendurch auch mal hinschmeißen wollte, macht Boberg aber nicht die Kinder. Ganz im Gegenteil: "Hätte ich die nicht gehabt, hätte ich abgebrochen. Aber du kommst da hin und 22 Kinder freuen sich, dass du da bist. Das ist ein unfassbar schönes Gefühl."
Einen "hochwertigen, qualitativen Unterricht" habe sie in ihrer 1. (22 Kinder) und ihrer 4. Klasse (23 Kinder) aber nicht geben können. Das sei für tatsächlich ausgebildete Lehrkräfte schon schwer genug. "Und wie sollen wir Ungelernte gerade in Brennpunktschulen das meistern?", fragt die Journalistin und schiebt ihre ganz persönliche Antwort gleich hinterher: "Ich würde sagen, das kann nicht gelingen."
Überraschendes Jobangebot
Paradoxerweise hat Boberg nach ihren zwölf Wochen von der Direktorin der Grundschule trotzdem einen 20-Wochenstunden-Vertrag angeboten bekommen. Im Vergleich zu anderen Ungelernten hat sich die hr-Redakteurin gut geschlagen und sehr engagiert gezeigt. "Ich würde sagen: Das reicht nicht. Aber ich bin besser als andere Quereinsteiger – und das ist katastrophal."
Selbstversuch als Quereinsteigerin Von heute auf morgen Grundschullehrerin - und sofort überfordert