Zwei Schüler in einem Klassenzimmer melden sich

Sie waren mal Grafikdesigner, Fitnesstrainer oder Physiker, jetzt sind sie Lehrer. Als sogenannte Quereinsteiger unterrichten sie an Hessens Schulen, weil es an ausgebildeten Lehrern mangelt. Schulleiter und Kultusminister sind froh, dass sie so die Lücken füllen können. Kritiker bemängeln schlechte Personalplanung seitens Landesregierung und unzureichende Qualifizierungsmaßnahmen.

Haben Sie Lust auf neue Herausforderungen? Mit dieser werblichen Überschrift versucht das Hessische Kultusministerium auf seiner Homepage Menschen für den Lehrerberuf zu begeistern. Auch solche, die formal keine pädagogische Ausbildung haben. Quereinsteiger im Lehrerberuf. Vor allem in den sogenannten Mangelfächern Mathe, Physik oder Kunst werden sie gebraucht.

Dass ihr Anteil in den vergangenen Jahren wächst, ist für Hessens Kultusminister Alexander Lorz kein Problem: "Wenn ich einen Diplom-Physiker bekommen kann oder einen Master in Physik - das war traditionell immer schon Mangelfach - und wir können den pädagogisch qualifizieren, dann sind wir natürlich froh." Quereinsteiger seien eine Bereicherung für die Schulen – kein Notnagel. Der Minister ist bemüht, dieses Bild zu zeichnen.

Bereicherung mit Mängeln

Auch Stefan Wesselmann freut sich über jeden Menschen, der über Umwege zum Lehrerberuf findet. Er ist Schulleiter einer Grundschule in Rödermark und Vorsitzender des Lehrerverbands Bildung und Erziehung. Doch in der Praxis sei das Beispiel vom überqualifizierten Diplom-Physiker, der plötzlich Lehrer werden will, eher die Ausnahme. "Teilweise sind es auch ganz andere Professionen, die man da dann in die Schule bekommt. Ganz klassisch: Die Yogalehrerin, die Fitnesstrainerin oder der Leiter der Musikschule, der da Unterricht übernimmt - das ist inzwischen leider die Regel", so der Schulleiter.

Laut Schätzungen seines Verbandes arbeiten inzwischen mehr als 6.000 Menschen an Hessens Schulen, obwohl sie keine geeignete pädagogische Ausbildung haben. Insbesondere als Vertretungslehrer und in befristeten Arbeitsverhältnissen. Denn diese Stellenanzeigen seien für Lehrer mit regulärer Ausbildung meistens uninteressant. Aus der Not heraus, die Lücken im Dienstplan dann doch irgendwie zu stopfen, werden sie über Nacht zur Lehrkraft. "Ohne jegliche Vorbereitung, nicht mal mit einer pädagogischen Schnellbesohlung", sagt Wesselmann. "Die werden im Prinzip direkt vor eine Klasse gestellt, da sind natürlich häufig viele Fragezeichen. Aber oft ist man froh, dass man überhaupt jemanden findet. Und dann schaut man im Lauf der Zeit, wie’s so klappt."

Opposition kritisiert schlechte Personalplanung

Auch die Opposition im Landtag ist wegen der seit Jahren wachsenden Zahl an Quereinsteigern an hessischen Schulen besorgt. Selbst die FDP, die es eigentlich befürwortet, wenn Menschen aus anderen Berufen an den Schulen unterrichten. "Quereinstieg ist grundsätzlich was sehr Positives", sagt der bildungspolitische Sprecher der Liberalen im Landtag, Moritz Promny. "Aber zur Wahrheit gehört, dass damit aktuell die schlechte Personalplanung der Landesregierung kaschiert wird. Das sehen wir daran, dass von 65.000 Lehrern über 10.000 aus dem Quereinstieg kommen."

Im Kultusministerium bestreitet man diese Zahlen nicht. Auch der CDU-Minister Alexander Lorz will den Anteil an Lehrkräften reduzieren, die an den Schulen aktuell ohne passendes Studium unterrichten. Der CDU-Politiker sagt allerdings gleichzeitig: "Der wird niemals auf Null kommen. Musikpädagogen, Sportwissenschaftler, Pfarrerinnen und Pfarrer - das sind alles Menschen, die schon immer im hessischen Schuldienst waren und die wir auch in Zukunft brauchen werden."

Im Oktober stehen in Hessen Landtagswahlen an. Schon jetzt ist sicher: Wie der Lehrkräftemangel an den Schulen beseitigt werden kann und welche Rolle Quereinsteiger dabei spielen, wird im Wahlkampf sicher ein großes Thema werden.

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