Bürgermeister-Befragung zur Lage in Hessens KommunenStadt top, Land flop?
Wie sind Hessens Kommunen mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Breitband und Ärzten versorgt? Wie sieht es aus mit (bezahlbarem) Wohnraum, Kultur und Angeboten für junge Menschen? Das wollten wir von Hessens Bürgermeister*innen wissen. Das Ergebnis zeigt: Nicht nur aufgrund der Corona-Pandemie gibt es ein deutliches Gefälle zwischen ländlichen und urbanen Regionen.
Von Frederik von Castell
Deutschlandweit hat die Gesellschaft mit den Folgen der Corona-Pandemie zu kämpfen. Gleichzeitig wirkt die Pandemie wie ein Brennglas, das Defizite besonders deutlich zum Vorschein bringt. Sei es die digitale Infrastruktur oder die medizinische Versorgung. Mit dem Rechercheprojekt „Land in Sicht“ zur ARD-Themenwoche #wieleben wollen wir genau hinschauen und zeigen, wie unterschiedlich sich diese Probleme auswirken – und ob es Muster gibt, die damit zusammenhängen, wo wir leben: auf dem Land oder in der Stadt, mit vielen auf wenig Raum oder mit wenigen auf viel Raum.
Wir haben die hessischen Bürgermeister*innen gebeten, uns ihre Lage vor Ort einzuschätzen. Die Hälfte aller Bürgermeister*innen hat uns dabei unterstützt und uns dadurch einen Vergleich zwischen ländlicheren und urbaneren Gebieten ermöglicht.
Was ist Stadt, was ist Land?
Am Anfang stand zunächst die Frage, was ist Stadt und was ist Land. Grundlage für die Auswertung war die Einteilung der hessischen Kommunen nach dem Entwurf des Landesentwicklungsplans Hessen 2020 (4. Änderung). Warum wir uns dafür entschieden haben und wie die Kategorisierung vorgenommen wird, lesen Sie hier.
Demzufolge lassen sich die hessischen Kommunen in vier verschiedene Strukturräume einordnen. Zu welcher Form die Kommune, in der Sie leben, demnach zählt, zeigt die Karte.
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Corona schadet Investitionen im ländlichen Raum
Die hr-iNFO Befragung hat gezeigt: Die Corona-Pandemie beeinträchtige die Entwicklung der hessischen Kommunen, akut und auch längerfristig. Demnach verzeichnen fast alle teilnehmenden Kommunen Einnahmeausfälle durch Corona. Rund ein Drittel der Kommunen im dünn besiedelten ländlichen Raum hat wegen Corona zu wenig Geld, um allen Aufgaben nachzukommen. Und das werde sich so bald nicht ändern. Mehr als jede zweite Kommune befürchtet, dass sie sich Investitionen erstmal nicht mehr leisten kann.
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Immerhin: Die Bundes- sowie Landesregierung versuchen zu helfen, indem sie Ausfälle bei den Steuern übernehmen und Förderprogramme voranbringen. Trotzdem befürchtet jede*r zweite Kommunalpolitiker*in sogar, dass auch mittelfristig an Investitionen gespart werden muss. Davon betroffen sind vor allem Kommunen im ländlichen Raum.
Ob Breitband oder mobil: Das Land ist unzufriedener
Dabei sind Investitionen wichtig für die Entwicklung der Kommunen. So zeigt sich gerade im ländlichen Raum noch hoher Bedarf am Ausbau von Breitband und mobilem Internet:
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Weitere Informationen
So weit ist die Digitalisierung in Hessen
Corona-Zeit ist Homeoffice-Zeit. Das ist zumindest die Erfahrung vieler Bürojobber in Hessens Städten. Dazu braucht es aber am besten schnelles Internet und guten Handy-Empfang. Das ist nicht überall in Hessen garantiert. [mehr]
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Nicht nur im Netz langsamer unterwegs
Menschen im dünn besiedelten ländlichen Raum leben häufig nicht nur mit langsamerer Internet-Geschwindigkeiten, sondern auch mit geringerer Mobilität.
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Vor allem die selten vorhandene Anbindung ans Schienennetz halten die Bürgermeister*innen der teilnehmenden Kommunen für mangelhaft. Im dünn besiedelten ländlichen Raum hält nach Angaben der Kommunen nur in jeder vierten eine Regionalbahn. Hier sehen auch die Kommunen im Umfeld der Großstädte Verbesserungsbedarf. Im dünn besiedelten ländlichen Raum sind die Kommunen auch bei der Anbindung an Schnellstraßen und bei der Versorgung mit Busverkehr für die Bürger*innen nicht zufrieden.
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Fachärzte und Theater? Fehlanzeige
Auf die Verkehrsmittel kommt es vor allem dann an, wenn die Nahversorgung vor Ort nicht gewährleistet ist. Immerhin: Laut den Kommunen haben alle Hessen und Hessinnen einen guten Zugang zu Lebensmittelmärkten – egal, wo sie wohnen.
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Bei der medizinischen Versorgung scheint es allerdings größere Unterschiede zu geben. Verhalten positiv schätzen die Kommunen im dünn besiedelten ländlichen Raum zwar die medizinische Grundversorgung ein: Die Versorgung mit Allgemeinmediziner*innen scheint vorhanden. Die nächste Praxis ist nach Angaben der Kommunen im Durchschnitt weniger als einen Kilometer entfernt. Anders sieht es aber bei der Versorgung mit Kinderfachärzt*innen und Gynäkolog*innen aus: hier beträgt die Entfernung im Schnitt 13 Kilometer zur nächsten Facharztpraxis, während sie im Ballungsraum in der Regel im gleichen Ort vorhanden sind.
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Mangelhaft allerdings werden außerhalb der Ballungsräume die Kulturangebote von den Bürgermeister*innen empfunden. Denn in vielen Kommunen gibt es weder Theater, noch Kino, manchmal nicht einmal Bars und Kneipen.
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Die Jugend zieht es in die Stadt
Kein Wunder, dass es die Jugend in die Stadt zieht: Fast 40 Prozent der teilnehmenden Kommunen im dünn besiedelten ländlichen Raum gaben an, dass ihre Einwohner unter 35 Jahren eher abwandern.
Nur 17 Prozent der ländlichen Kommunen verzeichnen eher Zuwachs als Abwanderung. In städtischen hoch verdichteten Räumen nehmen fast drei Viertel der befragten Kommunen einen Zuwachs an Menschen unter 35 Jahren wahr.
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Ein weiterer möglicher Grund für die von den Bürgermeister*innen wahrgenommene Binnenbewegung der Jungen von Land zu Stadt könnte das Arbeitsplatz- und Ausbildungsangebot sein. Vor allem der dünn besiedelte ländliche Raum schätzt die Situation hier deutlich schlechter ein als die anderen Kommunen:
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Insgesamt bewerten die Bürgermeister im ländlichen Raum ihre Kommunen als nicht sehr attraktiv für jüngere Menschen. Von der Abwanderung profitieren würden vor allem die Ballungsräume. Die Kommunen rund um die großen Städte schätzen ihre Attraktivität am höchsten ein.
Bauland- und Wohnungsmangel
Die hr-iNFO-Recherche hat eins ganz deutlich gezeigt: In den meisten hessischen Kommunen fehlen Wohnraum und Bauplätze. Mehr als die Hälfte der teilnehmenden Bürgermeister sieht hier dringenden Bedarf - und zwar sowohl auf dem Land als auch in der Stadt.
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In den Großstädten wird vor allem bezahlbarer Wohnraum benötigt. 40 Prozent der Kommunen im dünn besiedelten ländlichen Raum beklagen außerdem, dass bei ihnen altersgerechte und barrierefreie Wohnungen fehlten. Wichtig außerdem: Modernisierungen – und damit eine Steigerung der Wohnqualität.
Die Zukunft im Zeichen des Klimawandels
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Die hessischen Kommunen sehen sich bereits jetzt von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen. So gaben vor allem die teilnehmenden Bürgermeister im ländlichen Raum an, aktuell schon die Auswirkungen des Klimawandels zu spüren. Vor allem die Kommunen rund um die Großstädte gehen davon aus, in Zukunft stärker vom Klimawandel betroffen zu werden.
Insgesamt blicken die hessischen Bürgermeister aber zuversichtlich in die Zukunft. Wobei der Optimismus bei den Kommunalvertretern in den Ballungsräumen ausgeprägter ist als im ländlichen Raum.
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Weitere Informationen
Methodik
Mit 211 Teilnehmer*innen hat die Hälfte aller hessischen Bürgermeister*innen (421) den Fragebogen des Hessischen Rundfunks ausgefüllt. Er beinhaltet 67 Fragen und war rund drei Wochen (29. September bis 19. Oktober 2020) zugänglich. Gewünscht waren neben Sachinformationen auch Problembeschreibungen und Einschätzungen zu verschiedenen Aspekten in der jeweiligen Kommune. Die Analyse erfolgte unter Zuhilfenahme des Entwurfs für den Landesentwicklungsplan Hessen 2020 ( 4. Änderung des Landesentwicklungsplans Hessen 2000) (LINK zu anderem Artikel). Der „LEP Hessen 2020“der es ermöglicht, die Gemeinden in vier unterschiedliche Strukturtypen von besonders ländlich bis urban zu unterscheiden: Dünnbesiedelter ländlicher Raum (DLR), ländlicher Raum mit Verdichtungsansätzen (LRV), Verdichteter Raum (VR) und Hochverdichteter Raum (HVR). Die Anteile der Kommune, die an der Befragung teilgenommen haben, an diesen Kategorien entsprechen relativ genau den Anteilen an der Grundgesamtheit aller hessischen Kommunen:
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